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Neue Texte, assoziativ entlang der literarischen Tradition geschrieben, mechanisch neu montiert, verlangen einen durchaus zeitgenössischen Leser, der mit der Fernbedienung in der Hand sich durch Texte zu zappen gewohnt ist und sich die Texte, die in offensichtlich unzusammenhängenden Einzelteilen, oder aber minutiös und lückenlos verarbeitet, im Kopf selbst zusammenzusetzen imstande ist. Und genau hier geschieht eigentlich das Entscheidende: Der Textsampler verabschiedet seinen eigenen Text zugunsten eines vielseitig einsetzbaren, vieldeutig lesbaren Textes, der zwar seinem Hirn entsprungen ist, jetzt aber, indem er gelesen wird, in einem neuen Verständnis der Leserin und dem Leser nicht nur gehört, sondern wirklich zu ihrem eigenen Text geworden ist.

Eine der letzten Notizen in den Aufzeichnungen Wenzels verdeutlicht diesen Ansatz von einer andern Seite: «... das Undeutliche, Nebulöse will mir bei weitem interessanter scheinen, als das von der Sonne angestrahlte, Überdeutliche; das Mehrdeutige, Verwirrende scheint mir weit wichtiger, als die fantasielos präzise Eindeutigkeit ...» Bei Groddeck heisst es, dass die Zwei- und Vieldeutigkeiten der Anfang des Sinns seien. Mindestens ist es der Anfang des Denkens beim Lesen. Und des Interpretierens und damit der Punkt, an dem der Text aus dem Besitz des Autors in den Besitz der Leserinnen übergeht.