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Kapitel 3: «Möchtest du nicht lieber ein Star werden?» Der Künstler als Popstar

 

Matthias Kuhn: Gut, alles was ein Künstler macht, ist Kunst. Das ist nicht interessant. Ist es den Interessant zu wissen, dass alles was der Künstler macht, zu seiner Kunst beiträgt? Der Nebensatz am Anfang, dass dies ein Unterschied zu einem anderen Beruf ist, weil sich der Künstlerberuf wahrscheinlich dadurch definiert. dass er fächerübergreifend und lebensausfüllend ist und darum auch kein Hobby nebenher zulässt, weil jedes Hobby mit grösster Wahrscheinlichkeit sofort vereinnahmt würde.

Christof Salzmann: Aber ist das nicht beim Hacker genau das Gleiche?

Matthias Kuhn: Der Hacker ist ein Künstler, dass ist ein schlechtes Beispiel.

Christof Salzmann: Nehmen wir den Wissenschaftler.

Matthias Kuhn: Möchtest du nicht lieber ein Star werden? Mir ist bei einem Artikel über Jugendlichen und ihre Idole etwas aufgefallen. Es gab tausend Beispiele von Jugendlichen, die Fan von irgendjemanden sind. Es gibt aber auf der ganzen Welt keinen verdammten Jugendlichen, der Fan ist von einem Künstler. Offenbar taugen wir eh nicht zu Stars und wenn wir dazu taugen - schliesslich redet man ja von Künstlerstars - dann nur innerhalb der Kunstszene. Und was die Stars sonst ausmacht, ist ja genau, dass sie ihre Szenen sprengen. Wenn du Madonna sagst, dann weiss auch jemand, der nicht Madonna hört, von wem du sprichst. Wenn du ein Star bist, kennt man dich auch ausserhalb der Szene und das scheint in der Kunst nicht der Fall zu sein. Es gibt ganz wenige Figuren, wo man es sich überlegen müsste, z. B. Pipilotti kennt man in der Schweiz mittlerweile auch ausserhalb der Szene. Aber sie hat sich diesen Status auch nicht mit der Kunst verschafft oder sagen wir, nicht mit ihrer Arbeit im engeren Sinn. Die Leute, die du heute auf der Strasse nach Pipilotti fragst, die werden sagen, dass sie wissen von wem die Rede ist, aber nicht weil sie eine Ausstellung von ihr gesehen haben, sondern weil sie sie im Fernsehen gesehen haben, im Zusammenhang mit er Expo02. Als Künstler mit deiner Arbeit ein Star werden, so dass Jugendliche dein Poster ins Zimmer hängen und sagen, dieser Künstler ist mein Vorbild, oder ich will mal so werden wie dieser Künstler, das gibt es nicht.

Elisabeth Nembrini: Das wäre ja eine ganz schöne Vorstellung mit den Jugendlichen und dem Poster im Zimmer ...

Matthias Kuhn: Das wäre fantastisch!

Elisabeth Nembrini: ... ja, aber es wäre doch auch supergeil, wenn du ein Star sein könntest und unbehelligt auf der Kreuzbleiche Fussballspielen, ohne das du belästigt wirst.

Matthias Kuhn: Das ist eine Ausrede.

Elisabeth Nembrini: Nein, das ist keine Ausrede.

Marianne Rinderknecht: Das ist dort der Fall, wo der Künstler und seine Kunst nicht verschmelzen. Man geht Kunst anschauen und der Künstler ist nicht dort ...

Elisabeth Nembrini: Es gibt viele Künstlerinnen oder Künstler, die sich als Person oder ihren Nimbus zum Thema gemacht haben, aber das ist nicht bei allen der Fall.

Christof Salzmann: Wenn die Person zum Produkt wird, dann hast du die Möglichkeit ein Star zu werden.

Elisabeth Nembrini: In der Bildenden Kunst tritt die Person des Künstlers hinter die künstlerische Arbeit zurück und das ist ja auch o.k.

Matthias Kuhn: Wenn man sich vorstellt, irgendein Bub hat in seinem Zimmer neben dem Bild von Britney Spears ein Bild von Elisabeth Nembrini aufgehängt und würde beide vergöttern. Wenn Britney Spears in Zürich im Hallenstadion auftritt, dann terrorisiert er die Eltern, dass er da hin kann. Wenn Elisabeth eine Ausstellung im Basler Museum für Gegenwartskunst hat, dann muss er mit den Eltern nach Basel, er muss das gesehen haben, was sein Idol macht. Das ist doch etwas lächerlich.

Elisabeth Nembrini: Das kannst du jetzt nicht vergleichen, weil das diese wirklich populären Möglichkeiten der Kunst gar nicht gibt.

Matthias Kuhn: Jetzt müsste uns der Christof helfen, denn er möchte ja ein Star werden.

Christof Salzmann: Es ist eine Frage des Mechanismus. Bringst du tausendmal die Nembrini-Ausstellung auf MTV, dann werden junge Menschen, wenn es gut gemacht ist, Nembrini im Museum anschauen gehen. Davon bin ich überzeugt.

Matthias Kuhn: Aber nicht die, die ein Britney Spears Poster haben. Es werden mehr hingehen, das ist bei Pipilotti sicher der Fall gewesen.

Christof Salzmann: Die Leute, die Britney Spears hängen haben, hängen sich auch nicht Madonna daneben.

Elisabeth Nembrini: Dann müsste die ganze Arbeit mit Merchandising gut vermarktet werden. An ein Konzert gehen vielleicht nur wenige, aber CDs und Poster bieten einen Zugang, ohne dass du grossen Aufwand betreiben musst. Aber um eine Ausstellung anschauen zu gehen, musst du einen Aufwand betreiben. Du musst hinfahren, dich informieren, musst das anschauen und so weiter. Und da sind die Mechanismen unserer Arbeiten ganz anders.

Christof Salzmann: Es gibt einen Kunststar.

Elisabeth Nembrini: Wer?

Christof Salzmann: Christo! Mit dem Reichstag. Das ist ein Beispiel für einen Künstler mit Werk, das einen Bekanntheitsgrad erlangt hat, das jede bisherige Vorstellungen sprengt. Es ist wahrscheinlich nicht soweit gekommen, dass diese Menschen sich einen Christo-Poster an die Wand gepinnt haben, aber sie haben immerhin die Stofffetzen als Reliquie mitgenommen.

Matthias Kuhn: Das ist an sich ein gutes Beispiel. Nur nehme ich Christo heute als Künstler nicht mehr ernst. Aber es stimmt schon, er scheint irgendeinen Kultstatus erlangt zu haben, wenn man den Leuten glauben will, die von weit her kommen, um sich das Werk anzuschauen.

Christof Salzmann: Die kommen aber nicht wegen Christo. Das ist vielleicht doch ein Unterschied. Christo hat mich selber nicht interessiert bei dieser Reise, sondern es war das Werk. Und das Werk hat Kultstatus. Das ist so publik gemacht worden, er hatte so eine Riesenpresse, es ist so wunderbar vermarktet worden ... Ich glaube du musst einige Mechanismen verstehen und in Bewegung setzen und die richtigen Leute kennen und dann kannst du ein Künstlerstar werden.

Matthias Kuhn: Er war aber ein kurzlebiger Star.

Elisabeth Nembrini: Es war ein Event indem er mit dem symbolträchtigen Reichstag gearbeitet hat. Eine Ausstellung von Christo, das sind ein paar Zeichnungen, die mit seinen Projekten zu tun haben, mit denen er zwar Geld verdienen kann, die aber keinen Menschen interessieren.

Christof Salzmann: Es war in diesem Moment wirklich der Event, das Spektakel. Und ich finde, er hat eine megageile Strategie gehabt. Er hat es geschafft, dass er im deutschen Bundestag verhandelt wurde. Das nur ˆpropos Grenzen sprengen der Kunstszene. Da kann Madonna nur an der Tür kratzen. Ich bin mir nicht sicher, ob der deutsche Bundestag der richtige Ort ist, um Starruhm zu erreichen, aber diese Strategie, dass er auf dieser Ebene gearbeitet hat, das fand ich schon total clever.

Matthias Kuhn: Gehört diese Verhandlung im Bundestag mit zu seiner Strategie? Oder interessiert ihn einfach das eingepackte Haus, und wie es dazu kommt ist ihm egal?

Christof Salzmann: Nein, es ging ihm auch um die richtige Strategie, um zu seinem Werk zu kommen.

Matthias Kuhn: Aber ist das heute noch ein interessantes Projekt? Künstlerisch?

Christof Salzmann: Wenn du die Möglichkeit hast mit dem Werk in den Bundestag zu kommen: dann ja.

Matthias Kuhn: Ich kann mir gar nicht vorstellen, das es ihm darum gegangen ist..

Christof Salzmann: Nein, ihm ging es darum, das Projekt so gross wie möglich aufzubauen und da hat der Ritt durch die Instanzen einfach dazugehört. Irgendwann ist ihm das Licht aufgegangen, dass dieses Vorgehen zum Erfolg des Projekts beitragen würde und dann hat er es durchgezogen. Eine geniale Strategie, für die er vielleicht gar nichts konnte, aber als die Möglichkeit da war, hat er sie genutzt.

Elisabeth Nembrini: ich stelle mir vor, dass das ganze Firmen sind, das kann ja gar nicht anders funktionieren. Ich finde es gut, dass es Kunstprojekte gibt, die diese Öffentlichkeitswirksamkeit haben. Mir reicht aber die Vorstellung, dass es auch kleinere Sachen gibt. Es muss ja nicht so international populär funktionieren. Vielleicht ist es doch am Schluss ein hohler Furz ...

Christof Salzmann: Aber stellen wir uns mal die Situation vor. Wir haben eine kleine Bühne und zwanzig Zuschauer und es kommt einer auf die Bühne und singt: «When will I, will I be famous?« Dann stellen wir uns die andere Situation vor, George Michael tritt vor 80'000 Menschen ans Mikrofon und singt: «When will I, will I be famous?« Dazwischen liegen Dimensionen, nicht nur vom Kontext her, sondern auch von Inhalt. Der gute Georg, der muss sich das nicht mehr fragen, denn er ist bereits berühmt, aber in diesem Moment wirkt es überhaupt nicht mehr lächerlich, sondern ganz cool im Gegensatz zu diesem Schnösel, der das vor zwanzig Leuten gesungen hat. Das eine funktioniert und das andere nicht.

Elisabeth Nembrini: Aber ist das interessant

Christof Salzmann: ich finde das mega-interessant

Elisabeth Nembrini: Einfach wegen den Massen

Christof Salzmann: Nein, weil es ganz anders funktioniert.

Elisabeth Nembrini: Ein Popstar zu sein als Künstler oder damit zu arbeiten, finde ich nur dann witzig, wenn du gar nicht als Star richtig funktionierst. Ich finde es nur dann witzig, wenn man dieses Startum irgendwie benutzt oder imitiert, dabei aber nicht wirklich das Ziel hat in diesen Dimensionen zu arbeiten. Es könnte doch in einem Rahmen passieren, wo es überschaubar bleibt und Spass macht. Ich glaube nicht, dass Popstar sein irgendwie Spass macht, das glaube ich nicht.

Marianne Rinderknecht: Ich kann ich mir schon vorstellen, dass das einen Reiz hat. Dieser Reiz des famous sein, wenn alle schreien, sobald du auf die Bühne kommst.

Elisabeth Nembrini: Das erschöpft sich ziemlich rasch.

Christof Salzmann: Ich frage mich, warum es alle fortwährend machen.

Christof Salzmann: Dann möchte ich mal festhalten: Popstar zu werden ist kein Problem, es ist nur die Frage des Sich-richtig-Verkaufens. Die entscheidende Frage ist doch jene, ob die Künstler bereit sind sich zu verkaufen?

Marianne Rinderknecht: Aber das kennen wir doch von der Popmusik her: Die breite Masse ansprechen und dann berühmt werden! Wieviel hat das noch mit Kunst zu tun? Die Frage ist doch auch, ob die Qualität stimmt.

Matthias Kuhn: Christof sagt: Popstar werden ist einfach, du musst nur bereit sein dich so und so zu verkaufen. Das stimmt glaube ich nicht ganz, denn es geht ja noch um das Produkt. Und wahrscheinlich hat ein Produzent im Studio, der denkt, mit der Britney Spears könnte man noch etwas machen, eine andere Motivation, als ein Künstler, der im Atelier sitzt und an seiner Arbeit herumdenkt.

Marianne Rinderknecht: Aber da gibt es auch die Kunstvermittler und Galeristen, die merken zum Beispiel da gibt es eine junge Künstlerin und die hat einen Preis bekommen und dann rufen alle an, dass sie vorbeikommen wollen. Da wird doch genau gleich gearbeitet. Das sind doch zum Schluss auch nur Agenten, die ihre Leute raussuchen. Das kann zum Gleichen führen.

Matthias Kuhn: Das stimmt, das kann zum Gleichen führen.

Elisabeth Nembrini: Dann ist doch wichtig, was jemand kann?

Matthias Kuhn: Unbedingt! Jetzt haben wir uns gerettet.

Elisabeth Nembrini: Das ist doch eine wichtige Frage. Reicht es nicht, einen Nimbus aufzubauen und eine Strategie zu verfolgen? Vielleicht ist gar kein Inhalt dahinter.

Matthias Kuhn: Aber das ist doch einfach unser Neid, dass wir denken, dass sei alles eine Fassade und dahinter sei nichts, und dass wir jetzt sagen, wir sind ganz gute Menschen, wir arbeiten am Inhalt. Im Grunde genommen wäre ich unglaublich gern einer, der nur eine polierte Fassade hat und nichts dahinter. Am liebsten wäre ich doch einer mit einer polierten Fassade und alle denken da ist nichts dahinter und zum Schluss sehen sie, dass doch ganz schön viel dahinter steckt. Und müssen zugeben: «So dumm ist der gar nicht.» Oder wie Pamela Anderson, nachdem Tom Kummer sie interviewt hatte, und sie plötzlich intelligent war.

Christof Salzmann: Also ich brauche einen Kummer, der mich positiv rüberbringt auch wenn ich diese Qualität gar nicht habe.

 

 

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Dieser Text ist Teil des Gespräches: Nembrini/Rinderknecht/Salzmann/Kuhn: Exklusivklatsch.
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