Im Schatten des Irak-Krieges.
Randnotizen zum aktuellen Machtdiskurs

Von Elisabeth Blum

 

 

Hätte es die Möglichkeit gegeben, über Krieg oder Frieden weltweit in direkt-demokratischer Weise - auf den Strassen - abzustimmen, dann gäbe es jetzt keinen Krieg. Wir wissen es, Hunderttausende haben es direkt bezeugt, in den kriegführenden genauso wie in den nichtkriegführenden Ländern. Wir wissen nicht nur, dass dieser Krieg von Bush und Blair über den Willen der im UN-Sicherheitsrat versammelten Stimmen hinweg in Gang gesetzt worden ist, wir wissen auch, dass er geltendes Völkerrecht verletzt, weil der Fall der Selbstverteidigung für einen bewaffneten Angriff - dies das Kriterium für einen Präventivschlag - nicht vorliegt. Erst recht nicht, wenn die Bedrohung nur vermutet oder «im Entstehen begriffen» ist. Dass nicht einmal das Kriterium für einen Präventivschlag gegeben ist, die «vorbeugende Verteidigung gegen eine unmittelbar bevorstehende Aggression» - Saddam ist nicht einmal für seine Nachbarn als wirkliche Bedrohung anzusehen.

Die hier genannten Kriterien gehören zur ersten der sechs Voraussetzungen, die Alois Riklin zufolge (Sonntagszeitung vom 23. März) zufolge für einen «gerechten Krieg» gegeben sein müssten. So viel vorab: Keine der sechs Voraussetzungen, die «kumulativ erfüllt» sein müssten, liegt im Irak-Krieg vor.

Nicht die «ehrliche Absicht» (Voraussetzung 2), dass es tatsächlich «um die Bewältigung einer Bedrohung des Friedens oder die Abwehr einer Aggression» gehe, schon gar nicht im Verbund mit Riklins Folgeaussagen, die das mit der Intervention verbundene Ziel festhalten, unschuldige Menschen zu schützen und «die Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit eines Staates» zu sichern. Man stelle sich nur vor, dass weder hegemoniale noch wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen dürften!

Voraussetzung 3, die Verhältnismässigkeit, besage, dass ein Krieg, selbst wenn Voraussetzung 1 und 2 gegeben wären, nur gerechtfertigt sei, wenn seine Folgen absehbar «weniger schlimm» seien als «das Übel, das bekämpft werden soll». Angesichts der verweigerten Alternativen, Saddam und sein Regime zu entmachten, stellt sich zuerst die Frage, ob Menschen zu töten oder sie jeglicher Art existentieller Bedrohung auszusetzen, jetzt im Irak die letzte und einzige Möglichkeit ist. Und es stellt sich die Frage nach den Schäden, die ein solcher aggressiver und völkerrechtlich nicht legitimierter arroganter Krieg von Bush und Blair in anderen Ländern und deren Beziehungen hinterlässt.

Voraussetzung 4, die Legitimation, war, wie wir wissen, nicht gegeben. Nur der UN-Sicherheitsrat hätte sie geben können.

Dass Voraussetzung 5, die «Ultima ratio», der Krieg als letztes Mittel, nicht gegeben war, ist bekannt.

Die Beachtung von Voraussetzung 6 hätten die Kriegsführer selbst nicht zugesichert: dass nämlich selbst im Falle eines gerechten Krieges - wenn alle fünf vorangehenden Kriterien erfüllt gewesen wären - die «Regeln des humanitären Völkerrechts» einzuhalten wären: Nuklearwaffen nur «bei Gefährdung der staatlichen Existenz, Kriegsgefangene fair behandeln». Man wisse jedoch - Alois Riklin beruft sich hier auf einen Bericht in der Washington Post -, dass dies immer wieder nicht der Fall gewesen sei, so zum Beispiel bei den Gefangenen in Guantanamo. Dass US-Amerikaner leichte Folter angewandt oder in anderen Fällen Gefangene an Länder ausgeliefert hätten, die schwerere Folter eingesetzt und die Informationen nur an US-Amerikaner weitergegeben hätten.

Der Irak-Krieg ist nicht gerecht und nicht gerechtfertigt. Gegen alle vernünftigen und menschenachtenden Einsprüche und mit Mitteln, die sie zu bekämpfen angetreten sind, praktizieren die Bush- und die Blair-Administration einen Krieg, der eindeutig totalitäre Züge trägt:
Sie verachten (1) positives Recht und sprengen so «politische Kategorien». Sie erklären (2) «nicht, was ist», sondern «was sein wird (entsteht und vergeht)». Und sie bewirken (3) auf diese Weise, dass ihr «ideologisches Denken unabhängig von Erfahrung» wird.

Drei entscheidende Kriterien, die Hannah Arendt in ihrem Buch Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft als Kennzeichen des Totalitarismus beschreibt und analysiert.
Die «Verachtung positiven Rechts» (1) ist allein schon durch die fehlende Existenz der Voraussetzungen 1 bis 5 gegeben. Werden diese missachtet, gilt zudem das Arendtsche Argument, dass bei totalitärer Ausübung von Macht Gebote wie «Du sollst nicht töten» versagen. Insbesondere dann, wenn «Töten zum politischen Programm» gehört, das auch noch so organisiert sei, dass alle Beteiligten «subjektiv unschuldig» sind.
Das aller totalitären Herrschaftspraxis innewohnende «Bewegungsgesetz» (2), wie Arendt die «kalte Logik des Deduzierens» auch nennt, zeigt sich darin, dass die kriegführenden Parteien, während sie den Krieg erst vorbereiten und dann beginnen, die Aufmerksamkeit auf einen Wunschzustand danach auszurichten versuchen.
Es ist gerade dieser vorwärtsgerichtete Zug ins zu erreichende Danach, das apodiktische Versprechen des Siegs, wie Arendt sagt, die die «Emanzipation ihres Denkens [des Denkens der Kriegstreiber] von erfahrbarer Realität» (3) bewirken. Um dies zu erreichen, verlassen sie sich auf «Verfahren ihrer [eigenen] Beweisführung». Dafür spricht, dass die Bush-Administration am 21. Januar 2003 das «Office of Global Communications» (OGC) eingerichtet hat. Dieses Büro, so steht es in einem Bericht von Dirk Eckert (die tageszeitung, 17. März), soll die Interessen der Vereinigten Staaten im Ausland fördern, Missverständnissen vorbeugen, Unterstützung bei Verbündeten aufbauen, das internationale Publikum informieren. Imagepflege, Koordination der Pressearbeit der Regierung, Fütterung der Öffentlichkeit mit Themen wie «Saddams Desinformation und Propaganda» oder Wiederaufbau in Afghanistan usw. gehören zu seinen Aufgaben. Das Office, das im Weissen Haus untergebracht ist, soll auch «in Zusammenarbeit mit dem Aussenministerium die Beziehungen zu Nachrichtensendern in der arabischen Welt verbessern und gemeinsam mit Aussen- und Verteidigungsministerium 'Anschuldigungen und Gerüchten' im 'Krieg gegen Terror' entgegentreten». Im selben Bericht ist zu lesen, dass Militärplaner daran arbeiteten, «die Informationspolitik zu einem Teil der Kriegsführung zu machen», und dass am 4. Januar 2002 eine Doktrin für die Air Force erlassen worden sei, in der «Public Affairs (PA) Operations» als «Teil von offensiven Gegeninformationsoperationen» aufgeführt würden, die «zu globaler Beeinflussung und Abschreckung» beitragen könnten, «indem sie ausländischen Führern die US-Fähigkeiten bewusst machen» und «feindlicher Propaganda mit der Wahrheit entgegenwirken».

Dass es Bush - für die US-Regierung eine ungewöhnliche Erfahrung - und Blair gerade nicht gelingt, «soviel Menschen wie möglich» in dieses «Bewegungsgesetz» ihrer Kriegsprogramme «hineinzuorganisieren» (für Arendt wäre dies ein weiteres Merkmal gelingender totalitärer Machtausübung), macht sie so aggressiv, und zwar in einem so grossen Ausmass, dass sie selbst grundlegende Kommunikationsstandards vergessen. Dass wichtige europäische Verbündete sich durch die verbale Kriegsführung gegen sie nicht haben einschüchtern lassen, ist für die Bewahrung demokratischer Regeln von geradezu unschätzbarem Wert.

In einer Zeit, in der sich die Bedeutung von Wörtern so gewaltsam verschiebt, tut man richtig daran, wieder einmal ausgiebig in Büchern nachzulesen, wie Begriffe verlässlich zu definieren wären.

Zur Aufklärung der Ideologisierung des Irak-Diskurses eignen sich Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft genauso wie der Eintrag Terror, Terrorismus in Band 6 der Geschichtlichen Grundbegriffe des Historischen Lexikons zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland.

Von Arendt ist unter anderem einiges über den Unterschied zwischen Tyrannis und totalitärer Herrschaft zu lernen: Tyrannis habe ihr Wesen in «gesetzloser Herrschaft», in der «Macht von der Willkür eines einzelnen ausgeübt» werde. Nach allem, was wir wissen können, fällt es nicht schwer, Saddam einen Tyrannen zu nennen.

Das Wesen totalitärer Herrschaft hingegen, so Arendt, sei der Terror. Terror sei nicht willkürlich, sondern sehe sich «in Übereinstimmung mit aussermenschlichen Prozessen und ihren natürlichen oder geschichtlichen Gesetzen». Im Fall des Irak-Krieges versuchen die Bush-Administration und insbesondere Bush selber, einige jener aussermenschlichen Gesetze zu definieren: beispielsweise das von Gut und Böse. Bush zweiteilt die Welt entlang jener von ihm bestimmten Achse. Eine Infamie! Und wer diese Blasphemie nicht unterstützt, ist gleich selber zugeteilt. Das ist - Terror, der ohne Zögern demjenigen Terror zuzurechnen ist, von dem Hannah Arendt sagt, dass er «den Zaun des Gesetzes», innerhalb dessen «die Menschen sich in Freiheit bewegen können», einreisst. Der totalitäre Terror, schreibt sie, werde selber das 'Gesetz', das nicht mehr übertreten werden könne. Trifft das - wenigstens für diesen historischen Moment, in der die ausgerufene Achse des Bösen kriegsbestimmend ist - nicht auch für den Terror Bushs zu?

 

Hilfreiches Surplus für weitere Betrachtungen

Was den Eintrag in Band 6 der Geschichtlichen Grundbegriffe zum jetzigen Zeitpunkt so wertvoll macht - und mit jetzigem Zeitpunkt ist nur die real begründete Angst vor der Ansteckung angesprochen, Bushs Verdikt von der Achse, die Gut von Böse trennt, könnte die Begriffe «Terror, Terrorismus» schon vor jeglichem Nachdenken eindeutig verorten -, ist die fast schon vernachlässigte Selbstverständlichkeit, mit der zu Beginn des 121 Seiten langen Beitrags die Frage gestellt wird: Was meint Terror?

Erste Antwort: Die Anwendung von Gewalt. Aber welcher Gewalt? Wie wird der Begriff Terror gebraucht? Die Antworten darauf sind nicht weniger als wittgensteinisch kompliziert.

Geht es um terreur (nicht permanente, äusserliche Einwirkung) oder horreur (permanentes, inneres Empfinden)? Ist vom psychologischen, ästhetischen, politischen oder juristischen Gebrauch die Rede? Von einem «Epochenbegriff»? Von Terror in Politik, Publizistik oder Wissenschaft? Von individuellem oder Massenterror? Von der Gegenwart? Vom Terrorismus in den Metropolen?
Von Terror als unmittelbarer Gewaltanwendung, unter dem Schutz und im Interesse eines Staates ?

Schon das dreiviertelseitige Inhaltsverzeichnis macht darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, beim Reden über Terror genau zu sein. Rudolf Walther, der Verfasser des Lexikoneintrags, geht mit dezidiertem Scharfsinn der «Sprachpolitik im Schatten eines belasteten Begriffs» nach, der «Metaphorisierung des Begriffs». Er bemängelt die kargen Reflexionen, hebt «rhetorisches Beiwerk» hervor.

Insbesondere die Abschnitte über Prozesse der «Ideologisierung und Politisierung» des Begriffs, die der «Feindbezeichnung» dienen und «historische Konstellationen» ausblenden, helfen bei der Aufklärung der gegenwärtigen Propagandareden. Für den Autor sind die Begriffe Terror und Terrorismus «Vehikel, mit denen Schuldzurechnungen und Entlastungsgewinne im ideologisch gesättigten Raum hin und her geschoben werden können». Synonyme «für das negativ besetzte, sonst aber beliebige Andere (vom lärmigen Umtrieb bis Mord)».

Wer den Begriff terreur, ursprünglich ein «Herrschaftsmittel in der Französischen Revolution», im politischen Alltagsgeschäft fruchtbar, das heisst, gegen seine Widersacher, einzusetzen verstand, gewann an Terrain. «Positionsgewinne» konnte wettmachen, wer seinem Feind wenn auch nicht Terror, so doch wenigstens «die Verantwortung dafür» zuschieben konnte. Mit dem Begriff liessen sich «Wunschtäter» genauso wie «Entrüstungsrituale» inszenieren oder Abrechnungen begleichen, selbst mit «Nicht-Tätern» oder «Ersatztätergruppen, die situativ komponiert» werden könnten. «Sekundärgeschäfte» nennt Walther dieses Repertoire an konstruierbaren Aktions- und Reaktionsmöglichkeiten.

Obwohl der Band 1990 erschien, gilt erst recht für das heutige Heute, was Walther für das damalige schreibt: «Heute hat sich der Bezichtigungswert des Begriffs verselbständigt. Das Wort allein genügt für die Stigmatisierung». Die «Gleichsetzung von Handeln und blosser Bezichtigung» mache den Begriff «allseitig verfüg- und beziehbar», während die geschichtlichen Momente verblassten.

Die eine Lektion, die die Herrschaft des Direktoriums in der Französischen Revolution aus dem Missbrauch der beiden Begriffe zur «wechselseitigen Feindbezeichnung» gezogen hat, würde auch in der politischen Rhetorik der kriegführenden Parteien - würde sie denn neuerdings befolgt - von aufklärerischem Wert sein: Unter jener Herrschaft musste nämlich mit einer zusätzlichen Präzisierung angegeben werden, wer mit dem Gebrauch der beiden Begriffe gemeint war: 'terreur royale'?, 'terreur des jacobins'? 'terreur contre le peuple'?

Und heute?

 

 

 


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