«wenn ein vogel vorbeifliegt, kann das ein
akustisch matthias kuhn im gespräch mit ines kargel und fabian neuhaus. |
wo man nicht hineinblasen soll kuhn: ihr werdet am 5. juni in st.gallen auf dem gallusplatz euer projekt «mono 1/03» aufführen. wir werden später auf dieses projekt eingehen. um euer vorgehen als musiker/innen verstehen zu können: was ist eure herkunft, was sind eure ausbildungen, was habt ihr bis heute für projekte gemacht? neuhaus: ich habe mich immer interessiert für die funktionsweise von musik. ich habe zuerst querflöte gelernt, aber schnell schon durch alle enden und löcher hineingeblasen, vor allem dort, wo man nicht hineinblasen soll. dann habe ich nach einer bastelanleitung einen e-bass gebaut. ich habe in rock- und punk-bands gespielt und habe schliesslich, um nach der matur geld zu verdienen, elektrische und akustische gitarren gebaut. ich wollte das zu meinem beruf machen, bin aber schnell wieder davon abgekommen, weil ich beim schleifen zu viel zeit zum nachdenken hatte. und ausserdem ist man mit arbeiten nie gleich schnell wie mit denken. kargel: ja, von meiner seite her sieht das so aus: ich bin mit einer relativ klassischen ausbildung gross geworden, allerdings mit vielen einflüssen aus dem jazz und aus der neuen musik und auch aus der bildenden kunst. ich habe mich entschlossen erst mal schauspiel zu studieren, war auch immer ein ziemlicher theaterfreak. meine studiensammlung wurde dann bis zum schluss: schauspiel, jazzsaxofon, komposition und elektroakustik. ich habe während meiner studienzeit in allen bereichen auch gearbeitet. meine mitmusiker und -schauspieler wurden immer ziemlich schnell wahnsinnig mit mir, weil ich die spartenimmanenten spielregeln nicht einhalten wollte. nicht, dass mir die spielregeln nicht gepasst hätten, aber mir fiel halt immer sehr viel ein, was quer zu den regeln lief.
ein offenes publikum kuhn: ihr habt jetzt beide vor allem diesen ortsspezifischen aspekt für eure arbeiten betont. in der kunst kenne ich das gut, dass für spezifische räume, auch öffentliche, arbeiten realisiert werden. in der musik kenne ich mich überhaupt nicht aus. gibt es da auch geschichtliche beispiele dafür? oder könnt ihr beispiele nennen für ortspezifische musikalische arbeiten? neuhaus: ortsspezifik kann ganz unterschiedliche hintergründe haben. im industriellen rahmen können das bezüge sein zu den inhalten der industrie. als beispiel könnte die aufnahme von meiner metalmusic gelten. ines hat übrigens im selben jahr ebenfalls eine cd herausgegeben zu metallklängen. metalmusic liefert einen sehr direkten bezug zur metallindustrie. es ging dabei um material, um industrielle arbeit und um industrielles ambiente und so weiter. kargel: ... wobei man sagen muss, dass das kein kunstgriff ist, sondern bei uns aus der beobachtung heraus kommt, dass es erstens die angenommene idealsituation - ich sag jetzt mal symphoniekonzert in einem konzertsaal - nicht gibt, oder nur für ganz wenige rezipienten in ganz wenigen augenblicken und dass es zweitens eine allgemeingültige wahrnehmung von akustischem und visuellem nicht gibt. john cage sagte einmal: stell dich auf die strasse und hör deine eigene symphonie, hör was los ist. es gibt wahnsinnig viel zu hören. neuhaus: ... das ist für uns eine möglichkeit assoziationen zu bewirken. wenn ich kontakt aufnehme mit einem raum, zum beispiel über die metallklänge im industrieumfeld, dann denkt sich jeder etwas dabei. diese klänge kann man beliebig abstrahieren und vervielfältigen. es geht darum, möglichst viel bezüge zu schaffen ... kuhn: rechnet ihr mit einem vorbereiteten und eingestimmten publikum? kargel: ... wir rechnen einfach mit einem offenen publikum. kuhn: ich meine folgendes: agiert ihr an orten, an denen ihr auf ein publikum trefft, das keine ahnung hat von eurer arbeit und erstaunt stehen bleibt um zu hören was da passiert? habt ihr damit erfahrungen? neuhaus: da sind wir jetzt eigentlich bei «mono 1/03» ...
musik körperlich spüren kuhn: gut, dann steigen wir anders ein. worum gehts bei «mono»? neuhaus: mono ist ein punkt. man denkt vielleicht an monolith: alles findet an einem punkt statt. dieser punkt hat sich gebildet aus den pragmatischen erfahrungen, die wir gemacht haben, wenn wir miteinander gespielt haben, historische musik auf elektronischen instrumenten, alles mögliche, mit computern, mischpulten und mit geräten mit denen man klänge verändern kann. kargel: klanglich gibt es zu mono einen interessanten ausgangspunkt. es ist eine tatsache, dass wir an räumen interessiert sind, auf die räume eingehen wollen und in diesen räumen spielen wollen. wenn man an einem ort nun lautsprecher aufstellt, erzeugt man einen kunstraum. dieser raum macht den natürlichen raum unhörbar. neuhaus: ich möchte noch rasch die klanglichen anforderungen verdeutlichen. wenn eine geige in einer kathedrale spielt, dann hören alle, die sich in dieser kathedrale befinden, dass es eine geige ist, die in einer kathedrale spielt. das tönt banal, aber man hört die kathedrale mit. man hört die klangfarben, die ausrichtung der geige, die platzierung des instruments. das sind alles möglichkeiten, den raum auszunutzen. kargel: ... das ergibt einen zwei-meter-turm in dem diese platten drinliegen. für die beschäftigung mit den platten gibt es ebenfalls verschiedene gründe. einer davon ist wiederum dieser industriekontext. wir arbeiten wahnsinnig gerne mit materialien, die aus dem täglichen leben kommen, die auch visuell etwas hergeben. diese platten altern zum beispiel, beginnen zu rosten, es sind unheimlich schöne objekte ... kuhn: klingen die platten anders, wenn sie zu rosten beginnen? kargel: na gut, der rost hat nicht so viel einfluss. aber sie verbiegen sich auch und leben mit. und es kommt auch darauf an, welches metall wir verwenden, welche dicke und grösse und welche masse. neuhaus: in der elektronischen popmusik, im techno, wird das mit tiefbasslautsprechern kompensiert, die sehr laut sind. so laut zum teil, dass sie das gehör schädigen. dort nimmt man dann auch körperlich etwas wahr. kuhn: und diese metallplatten kombiniert ihr für mono mit glasplatten? wie muss man sich die klanglichen möglichkeiten vorstellen? neuhaus: bei glasplatten ist es so, dass nicht geschulte ohren den unterschied kaum erkennen, ob nun über einen lautsprecher, oder über eine glasplatte gespielt wird. kargel: der wichtigste unterschied zum lautsprecher, abgesehen vom visuellen natürlich, ist der, dass die abstrahlung von den platten so diffus ist, dass man sie nicht orten kann wie einen lautsprecher. mit eizelnen lautsprechern erzeuge ich einen ganz andern raum, als über die glasplatten. neuhaus: beim mono-objekt ist es so, dass die elf verwendeten platten alle eine verschiedene charakteristik haben. vor allem beim metall hört man das sehr gut. wir steuern jetzt also die klänge durch diese platten hindurch, die klänge bewegen sich und wir erhalten dadurch unterschiedliche möglichkeiten im raum klang zu erzeugen und den klang zusätzlich zu formen. kargel: weil die klänge live erzeugt und bearbeitet werden, muss der lautsprecher nicht linear funktionieren, weil es nicht um die vergleichbarkeit geht. wir können mit der klangfarbe immer reagieren und ein klangergebnis unabhängig von der linearität der lautsprecher erzielen ... kuhn: ihr seid ja wahrscheinlich auch an unreinheiten interessiert ... neuhaus: ja, uns interessieren wirklich auch die eigenschaften der einzelnen platten und die geschichte die sie haben. das heisst, die bestimmten eigenschaften der platten werden auch für bestimmte wirkungen eingesetzt. das mono-objekt wurde für dieses projekt von grund auf neu konstruiert und hat noch keine geschichte. diese geschichte beginnt dann im juni ... wie lange diese geschichte dauert wissen wir noch nicht, denn sie wird mit dem letzten anlass noch nicht zuende sein.
neugier ist uns wichtig kargel: ja auf jeden fall. du hast vorhin erwähnt, dass die 23 orte knotenpunkte, schnittpunkte sind. unsere idee war, die vernetzung einmal anders zu gestalten, nämlich nicht alle punkte in einem punkt zu bündeln, sondern effektiv ein netz zu knüpfen. neuhaus: wir können ja gleich dieses konkrete bespiel erzählen: wir spielen auf der grenze zwischen konstanz und kreuzlingen, zwischen zwei ländern. das soundobjekt steht auf der grenze und jemand spielt in deutschland und jemand in der schweiz. es steht also das objekt im zentrum und wir stehen in einigen metern entfernung gegenüber und bündeln den klang im zentrum. kargel: dann gibt es einen schnittpunkt an der oberösterreichischen eisenstrasse ... es sind lauter orte, die frei zugänglich sind, wo man auch zufällig hinkommen kann. das war uns sehr wichtig, dass jemand zufällig hinzukommen kann. neuhaus: unsere ganze konzeption hat sehr viel mit organisation zu tun. einerseits müssen es offene plätze sein, auf denen wir spielen, andererseits müssen wir bewilligungen kriegen, das heisst, wir müssen unseren auftritt auch veranstalten können. wir haben an allen orten verbindungsleute, die wir versucht haben für unser projekt zu begeistern, um so vorzu zu sehen, wie wir unser netz weiterspannen können. kargel: ich meine es ist für uns auch ganz interessant diesen response zu kriegen im bezug auf die nachfrage. es besteht offenbar auch bedarf nach dem projekt. in dem zusammenhang war es uns auch wichtig, dass wir diese kontakte selber pflegen und dass da nicht ein veranstalter mit seinem jahresprogramm dazwischensteht. wenn wir unsere eigenen veranstalter sind, sind wir auch flexibel. kuhn: um jetzt doch noch auf das publikum zurückzukommen ... kargel: was erwarten wir von den rezipienten, was müssen die mitbringen, was wollen wir von ihnen? was wir erwarten ist offenheit. es ist wirklich nur die offenheit. neuhaus: es war uns wichtig, dass das ganze reduziert wirkt, um dem publikum seinen zugang zu ermöglichen. die form die daraus resultiert, wirkt recht abstrakt. wir haben bei andern aufführungen schon festgestellt, dass diese abstraktion und diese schlichtheit auch ein gewisses gefühl auslösen kann. diese neugier ist uns wichtig. man kann uns ja auch über die schultern gucken, man kann zu diesem objekt hingehen. es gibt dann auch zusätzliche informationen. und wir haben auch unsern dritten mann dabei, unseren techniker ... kargel: ... unseren kulturtechniker ...
kontrollierte resonanzkatastrophe kuhn: hat das publikum auch einfluss auf die musik? oder ist das, was man zu hören kriegt, das, was ihr spielt? neuhaus: bei uns ist die spielweise in sehr ausgeprägter weise vom ort abhängig. wir überlegen uns im voraus, was wir an einem ort spielen. das heisst, wir haben inhaltliche gründe für unser spiel. wir überlegen auch auf welche weise wir spielen. wir informieren uns über den ort, die geschichte und so weiter. dann hat das wetter einen einfluss auf unser spiel. kuhn: das heisst aber: ihr braucht klänge des ortes? neuhaus: wir spielen mit ganz wenigen basisklängen. ines spielt mit zweiminutenklängen ... kargel: die klangbearbeitung ist in diesem zusammenhang für uns immer sehr viel wichtiger als diese basisklänge selber. die mittel der klangbearbeitung sind mittlerweile so vielfältig und komplex und so eingreifend, dass es relativ wurscht ist, was da drunter liegt. wir kommen sowieso überall hin, wo wir hin wollen. das heisst, wir müssen nicht mehr die konkreten klänge aufnehmen gehen - zum beispiel am güterbahnhof bludenz, wo es jede menge eisenbahngeräusche gibt - denn die assoziation, die struktur und das gefühl von eisenbahnzügen das kriegen wir auch hin, wenn wir nicht die konkreten eisenbahngeräusche verwenden. kuhn: und das verschweigt ihr? kargel: nein, das verschweigen wir gar nicht. es gibt etwas viel wichtigeres, was wir verschwiegen haben. nämlich die resonnierenden platten.
es gibt nicht nur den einen weg, wie wir auf die platten spielen, sondern noch einen andern: die metallplatten in diesem klangobjekt werden mit tonabnehmern auch wieder abgenommen. wenn man weiss, dass jede platte, eigentlich jeder gegegenstand, eine eigenschwingung hat, dann kann man diese eigenschwingungen abnehmen und wieder auf die platte zurückleiten. neuhaus: die “kontrollierte resonanzkatastrophe³ ist schwierig zu handhaben, funktioniert aber ganz einfach. alle kennen das vom livekonzert, wenn die mikrofone zu pfeifen beginnen: in diesem moment wird das signal des mikrofons über den lautsprecher wieder ins mikrofon gefüttert, wass zu einer rückkopplung führt. diesen prozess kann man auch steuern ... es gibt sehr viele töne, auf welche die platten empfindlich ansprechen und durch gezieltes verstärken einer platte auf sich selbst können diese hervorgelockt werden. kargel: wir sind beim spielen auch miteinander vernetzt und können mit unserem setup gegenseitig die klangproduktion beinflussen. neuhaus: wir organisieren das projekt ja zu dritt. die mediale verbreitung ist auch thema: wir unterhalten die internetseite, wo alle aufführungsorte auch beschrieben sind. da kommen auch laufend texte dazu. kuhn: ihr werdet also keine musik-cd produzieren mit dem mono-projekt? kargel: wir haben uns von diesem stücke- und werkegedanken wegbewegt und bevorzugen mittlerweile modulhaft oder prozesshaft sich weiterentwickelnde arbeiten. das heisst natürlich nicht, dass es nur livemusik gibt, sondern durchaus auch installationen, die vorerst live aufgeführt werden, dann aber bestehen bleiben. oder auch tapestücke ... neuhaus: wir sind uns auch bewusst, dass eine installation immer eine zeitliche ebene einschliesst. es gibt immer eine vergangenheitsebene des ortes und eine zukunfts- oder vorstellungsebene und dann irgendwann mitten in diesen ebenen spielen wir dann auch noch live. kargel: etwas schreiben und dann das stück aus der hand geben und das von irgendwem spielen lassen, das ist einfach nicht mehr die arbeitsweise, die uns interessiert. mal schauen wie sich das weiterentwickelt ...
das gespräch fand statt im rahmen des projektes «file sharing» matthias kuhn/wortwerk.ch im märz/april 2003 im projektraum exex st.gallen. |
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