«daily.soup reagiert auf die veränderten gesellschaftlichen bedingungen.»

matthias kuhn im gespräch mit christof salzmann.
donnerstag, 20. märz 2003, projektraum exex st.gallen.

eintagsbrühmheiten

matthias kuhn: kannst du kurz definieren, was daily.soup ist?

christof salzmann: daily.soup ist eine nachrichtenagentur, die ausschliesslich über «eintagsberühmtheiten» berichtet. dabei handelt es sich um unbekannte personen, sogenannte «no-names», die aufgrund individueller fähigkeiten oder besonderer umstände für einen kurzen augenblick ein mediales interesse erreichen.

kuhn: kannst du ein beispiel nennen, worum es sich dabei konkret handelt?

salzmann: eine 85-jährige ehemalige krankenschwester lässt sich als letzten willen den schriftzug «bitte nicht wiederbeleben!» auf die brust tätowieren. ein elfjähriger junge baut aus seiner wasserspritzpistole, einem feuerzeug und papas benzinkanister einen flammenwerfer um gestohlene goldfische zu grillen. ein schweizer autofahrer steuert sein fahrzeug auf der autobahn mit den ellbogen um während der fahrt blockflöte üben zu können... das sind nur einige beispiele und die liste liesse sich lange fortführen. du findest die meldungen auch in den rubriken «faits diver», «aus aller welt» oder «panorama» auf den letzten seiten der tageszeitungen. die abgeschlossenen kleinen stories beschreiben einen wie auch immer gearteten konflikt. und alles spielt sich in wenigen zeilen ab. alles könnte mehr oder weniger auch dir oder mir passiert sein. darum ist das entscheidende kriterium für die auswahl der meldungen ein individueller selektionsfilter. ich meine ein kitzeln an einer unerklärbaren stelle. spüren wir dieses, dann publizieren wir die meldung auf der web-plattform und speichern sie im daily.soup_archiv.

kuhn: was darf ich mir unter dem archiv vorstellen?

salzmann: jede meldung, die die erwähnten auswahlkriterien erfüllt, landet als datensatz im digitalen daily.soup_archiv. ein datensatz umfasst die eigentliche story, ihren titel, eine indexnummer und das eingangsdatum. des weiteren sind angaben zu quelle, autor und namen von personen, die in der meldung eine tragende rolle spielen vermerkt. eine zusätzliche recherchemöglichkeit bieten verschiedene kategorien. diese bezeichnen einen klar definierten archivbereich und führen alle meldungen aus diesem bereich auf: geld, kinder, exitus, gangster, kurios, tier, verkehr, rekord, ehe, glück, aua - das ist die ganze welt von daily.soup.

kuhn: welchen umfang hat das archiv und gibt es eine wachstumsprognose?

salzmann: der aktuelle archivbestand beträgt derzeit ca. 2400 datensätze. der durchschnittliche zuwachs beträgt zur zeit 3,7 datensätze am tag. dieser wert ist jedoch stark von gesellschaftlichen und politischen faktoren abhängig. in globalen krisensituationen, bei militärischen konflikten oder anderen katastrophen, verringert sich die zahl der täglichen meldungen bis die konzentration der medialen berichterstattung auf den jeweiligen krisenherd wieder abnimmt.

kuhn: wie beziehen interessenten die informationen von daily.soup? wie erreicht ihr eure leser und leserinnen?

salzmann: alle ausgewählten meldungen werden auf der web-plattform publiziert. des weiteren publizieren wir alle meldungen im daily.soup_magazin. dabei handelt es sich um eine printformat das informationen am laufenden meter veröffentlicht, und das ist wörtlich zu verstehen. auf bahnen mit 80 cm breite werden pro quadratmeter ca. 400 meldungen publiziert. du kannst das magazin dann pro quadratmeter ordern und damit dein wohnzimmer tapezieren. wir reagieren so auf die individuellen informationsbedürfnisse unserer kunden. darüberhinaus liefern wir content für tageszeitungen und medienagenturen, die die meldungen dann in ihrem format publizieren.

kuhn: ihr verkauft information pro quadratmeter. das klingt für eine nachrichtenagentur nun doch etwas merkwürdig. was sind die gründe für dieses aussergewöhnliche geschäftsmodell?

salzmann: das geschäft mit informationen ist hochkomplex. die frage nach dem wert einer information hängt von vielen unterschiedlichen faktoren ab. aktualität, originalität und exklusivität sind dabei preisbestimmend. weiter ist der verbreitungsgrad entscheidend. daily.soup hat die ökonomischen gesetzmässigkeiten des medienmarktes untersucht und ist zur Überzeugung gekommen, dass der verkauf von informationen pro quadratmeter für unser produkt die gewinnbringenste geschäftsstrategie ist. daily.soup ist ein einfaches produkt, insofern arbeiten wir auch mit einem einfachen geschäftsmodell. bei uns zählt klasse und masse, dann klingelt auch die kasse.

kuhn: wie erklärt der geschäftsführer von daily.soup die bedeutung oder die relevanz seines produktes? wie erklärt er die möglichkeiten sein produkt auf dem markt zu platzieren?

salzmann: wir bieten ein einfaches produkt an. einfach zu bedienen und zu konsumieren. es bedarf kein spezifisches vorwissen oder technisches know-how und es braucht auch nicht viel zeit. das erklärt den hohen unterhaltungswert unseres produktes. unsere geschichten sind skurril, komisch und unterhaltsam. aufgrund dieser weitreichenden qualitäten beschränken wir uns nicht auf einen absatzmarkt, sondern versuchen das produkt in unterschiedlichen marktsphären zu etablieren. ich denke dabei an den kunst- medien und suppenmarkt.

kuhn: welches ist die aufgabe des geschäftsführers? ist das ein redakteur, der sich an der redaktionelle arbeit beteiligt, wenn ihr die meldungen filtert. wie sieht in die arbeit des geschäftsführers aus?

salzmann: bei daily.soup ist der geschäftsführer im prinzip junge für alles. der muss immer springen, sei es für den kaffee, den er organisieren muss, sei es für sonst irgendwas ... natürlich ist er auch hauptentscheidungsträger. zum einem für die auswahl der jeweiligen meldungen, zum anderen für die entwicklung der infrastruktur und die geschäftsstrategie. er behält den markt im blick und trifft die strategischen entscheidungen. im grossen und ganzen kann man sagen, dass der geschäftsführer dafür verantwortlich ist, dass der laden brummt. da unterscheiden wir uns überhaupt nicht von andern agenturen ...

 

künstlerische strategien und marktgesetze

kuhn: was ist eure strategie im bereich der kunst?

salzmann: die sphäre der kunst nutzen wir um mit geringen wirtschaftlichen mitteln Öffentlichkeit herzustellen und somit das produkt zu bewerben. neben diesen absatzfördernden aktionen interessiert uns zum einem das kritische potential im kunstkontext und die proklamierte freiheit der kunst. kunst ist für uns also auch ein forschungsfeld und freiraum. wir sind an kritischem feedback interessiert um das produkt fortlaufend zu optimieren. wir können im kunstkontext neue strategien entwickeln, testen und optimieren und sie dann in anderen bereichen umsetzen.

kuhn: das heisst ihr betreibt im kunstkontext mark- und meinungsforschung?

salzmann: der kunstkontext bildet eine schnittmenge unterschiedlicher gesellschaftlicher sphären. dort kommunizieren menschen, aus unterschiedlichen lebensbereichen die ihr interesse an kunst vereint. hinzu kommt, dass man über kunst vorbehaltlos reden kann, jeder kann sich dort seine meinung bilden und diese äussern. vergessen wir nicht, dass es sich in diesem zusammenhang «nur» um kunst handelt. keiner muss befürchten, sich mit seinem urteil gesellschaftlich zu ächten. diese freie meinungsbildung und rede interessiert uns. wir erhalten kritische rückmeldungen aus ganz unterschiedlichen individuellen perspektiven.

kuhn: sind die gewonnenen erkenntnisse der recherchen im kunstkontext auf andere kontexte übertragbar?

salzmann: nicht direkt. im kunstkontext sammeln wir weiche ressourcen, die wir in anderen bereichen gewinnbringend einsetzen.

kuhn: wie sehen die forschungsergebnisse die ihr im kunstkontext gewinnt aus? gibt es da konkrete erkenntnisse?

salzmann: dazu ein aktuelles beispiel: momentan ist es der begriff des archivs im aktuellen kunstgeschehen in aller munde. es gibt kaum eine ausstellung oder institution, die ohne ein künstler-, ausstellungs- oder projektarchiv auskommt. auch künstler und künstlerinnen untersuchen in ihren arbeiten die veränderte rolle und funktion des archivs in einer zeit, die mehr informationen produziert, als jemand wahrnehmen, verarbeiten, sammeln oder archivieren kann. im aktuellen mediendiskurs stellt sich die frage nach der wahrnehmung und den auswahlkriterien von informationen: welche informationen werden nach welchen kriterien in welchen zusammenhängen als wertvoll betrachtet? wie entwickeln informationen eine gesellschaftliche relevanz und wie verändert sich diese, wenn informationen in einem archiv gespeichert werden? wie werden wir von wem und warum manipuliert? denn die auswahl von informationen ist an sich schon manipulativ.

kuhn: wie verändern diese erkenntnisse das produkt?

salzmann: die recherchen im umfeld der kunst haben uns geholfen, das produkt präziser zu formulieren, die kriterien genauer zu definieren, unsere leistungen auf ein klares, nicht erklärungsbedürftiges produkt zu optimieren, ohne kritisches potential zu verschenken. bei aller banalität ist daily.soup nicht eindimensional sondern bietet mehrere leseebenen. diese erkenntnis haben wir im kunstkontext gewonnen.

kuhn: du sprichst von «mediendiskurs». heisst das, dass daily.soup an einer kritischen diskussion wirklich interessiert ist oder schmückst du dich da nicht mit aktivitäten die am produkt völlig vorbeigehen?

salzmann: wir verdonnern niemanden zur teilnahme an einem diskurs über irgendetwas. wer daily.soup als unterhaltsames infotainment begreift liegt völlig richtig. andereseits ist uns klar, dass daily.soup auch ein kritisches potential besitzt und über das, was es auf den ersten blick scheint hinausgeht. uns interessieren gesellschaftliche entwicklungen im informationsbereich und dieser diskurs schimmert bei daily.soup durch. vielleicht ist das der nahrreiche suppensatz, der sich am boden sammelt, aber den geschmack der suppe ausmacht.

 

die suppe ist ein souper ding

kuhn: ist es ein ehrliches bestreben von daily.soup den unterhaltungswert in den suppenkontext einzuführen?

salzmann: ich glaube das ist es, was der suppe fehlt. es gibt wunderbare suppen, die ausgezeichnet schmecken. aber der suppe an sich hängt heute noch eine atmosphäre an, die sich in den letzten vierzig jahren in keiner form entwickelt hat. noch heute zelebriert die suppenindustrie die kleine, heile bürgerliche welt. dieses klischee wird seit der erfindung der markensuppe unverändert vermittelt. mir scheint, dass der suppenindustrie nicht bewusst ist, wie sich die zeiten geändert haben. vielleicht ist das aber auch eine bewusste strategie. die suppenindustrie steht für traditionelle, konservative werte und diese verkauft sie. das ist nicht lustig. daily.soup hingegen ist ein produkt, dass auf die veränderten gesellschaftlichen bedingungen reagiert. in einer zeit der wachsenden ein-personen-haushalte macht daily.soup die suppen auch zu einer vergnüglichen single-mahlzeit. die einsamen tage des suppenkonsums allein vor dem fernseher sind gezählt. daily.soup ist die einzige suppe die satt und glücklich macht.

kuhn: eine ganz persönliche frage: woher kommt dieser enthusiasmus für die suppe?

salzmann: das liegt natürlich an der suppe selbst. die suppe ist ein gesundes und praktisches nahrungsmittel. einfach in der zubereitung, hoher nährwert und leicht verdaulich. der zeitliche aufwand um eine suppe zu zubereiten ist relativ gering, in etwa so gering, wie der genuss der artikel von daily.soup.

kuhn: da gibt es jetzt doch einige Übereinstimmungen zwischen dem produkt «suppe» und daily.soup. konzentration ...

salzmann: ... einfachheit, nahrhaftigkeit ... all das sind parallelen zwischen der industriellen päckchensuppe und daily.soup. wir haben uns schon bewusst für die produktbezeichnung entschieden und das produkt auch entsprechend optimiert.

kuhn: du hast gesagt, daily.soup ist ein kleines unternehmen, mindestens ein unternehmen das klein angefangen hat, wie sieht die zukunftsplanung aus?

salzmann: wir möchten uns sowohl im kunstkontext, als auch im medien- und suppenkontext behaupten. das ist natürlich leicht dahingesagt, aber es bedarf aller ressourcen und energien, die wir mobilisieren können. die suppe existiert seit tausenden von jahren, an ihr sind alle krisen vorbeigegangen. wenn wir diese qualität auch bei daily.soup entwickeln können, dann haben wir viel erreicht.

kuhn: ich danke dir für das gespräch.

 

 

 

 


das gespräch fand statt im rahmen des projektes «file sharing» matthias kuhn/wortwerk.ch im märz/april 2003 im projektraum exex st.gallen.
copyright (c) 2003 bei christof salzmann und matthias kuhn/wortwerk.ch
text-URL http://www.wortwerk.ch/file_sharing/textarchiv/salzmann_gespraech.html