Unsere tägliche Suppe gib uns heute

Interview mit Christof Salzmann, Geschäftsführer der Nachrichtenagentur daily.soup
in: Economic Standard, Nr. 10/2002, London

 

 

Eine Frau verbringt ihren Flug von Stockholm nach New York festgesogen auf der Flugzeugtoilette, ein anderer fährt mit einer Kugel im Kopf selber ins Spital. Wir lieben die Nachrichten über die sogenannten «no-names» aus den Rubriken «Aus Aller Welt» oder «Verschiedenes» auf den letzten Seiten der Tageszeitungen. Die neue Nachrichtenagentur daily.soup hat sich auf den Vertrieb dieser «Eintagsberühmtheiten» spezialisiert. daily.soup berichtet ausschliesslich über Personen, die aufgrund aussergewöhnlicher Ereignisse oder Fähigkeiten, ein allgemeines Interesse verdienen.

Öconomic Standard sprach mit Christof Salzmann, dem Gründer der Nachrichtenagentur, über innovative Ideen, Marktressourcen und über Kunst als parasitäre Strategie.

 

Der Klugscheisser

Economic Standard: Wir erleben momentan einen starken wirtschaftlichen Einbruch im Informationsmarkt. Viele Stellen sind aufgrund ausbleibender Werbekunden gefährdet. Besonders betroffen ist dabei der Informationsmarkt im Internet. Es gibt wohl keinen ungünstigeren Zeitpunkt für die Gründung einer Nachrichtenagentur. Wie kam es zur Gründung der Nachrichtenagentur daily.soup?

Christof Salzmann: Ich glaube es gibt keinen schlechten Zeitpunkt für die Etablierung guter Ideen - Marktsituation hin oder her. Im Gegenteil: In so genannten «schlechten Zeiten» fehlen die cleveren Ideen, sonst würden wir nicht von Krisenzeiten sprechen. Die Idee zur Gründung zu daily.soup ist dagegen noch jung und wurde bei einem ausschweifenden Abendessen mit Freunden geboren. Im Laufe des Abends  wurde klar, dass sich alle Beteiligten für das Medienphänomen der «Eintagsberühmtheiten» begeistern. Diese Erkenntnis war der Startschuss für das daily.soup_Archiv. In der Folge musste ich erkennen, dass das Sammeln von Eintagsberühmtheiten auf Dauer eine einsame Angelegenheit ist. Es ist eher mit einem Hobby zu vergleichen, wie das Sammeln von Briefmarken, Coladosen oder Autonummern. Im Zuge dieser Sammlungstätigkeit dachten ich über die Möglichkeit eines kontinuierlichen Informationstransfer und -austauschs nach und stand dann vor der Frage der Distribution und Finanzierung. Die Gründung eines Wirtschaftsunternehmens in Form einer Nachrichtenagentur war da naheliegend.

 

Eintagsberühmtheiten

E.S.: Wie sehen die Kriterien für die Rubrik «Eintagsberühmtheiten» aus, können Sie uns ein Beispiel nennen?

C.S.: Eine Frau fliegt von Schweden in die USA. Nach dem Start benutzt sie die Toilette. Während sie noch auf der Schüssel sitzt, betätigt sie die Spülung, die die Toilette mit Unterdruck reinigt. Sie wird festgesogen und kann erst am Zielflughafen befreit werden. Das ist nur ein Beispiel, das zeigt, worum es bei unserem Produkt «daily.soup» geht. Es handelt sich um Meldungen über Personen, die aufgrund individueller Fähigkeiten oder besonderer Umstände für einen kurzen Moment ihrer anonymen Lebenswelt durch die Medien entrissen werden. Die abgeschlossenen kleinen Stories beschreiben einen wie auch immer gearteten Konflikt. Und das alles muss sich in wenigen Zeilen abspielen. Wir zeigen das Leben in seinen schicksalshaften Facetten, mit seinen überraschenden Wendungen und Tief- bzw. Höhepunkten. Worüber wir berichten, könnte mehr oder weniger auch Ihnen oder mir passieren. Darum ist das entscheidende Kriterium für die Auswahl der Meldungen unser individueller Selektionsfilter. Wenn wir an einer unerklärbaren Stelle gekitzelt werden, dann nehmen wir die Story.

 

Massenprodukt & Kundenbindung

E.S.: Was macht Sie so sicher, in diesem hart umkämpften Informationsmarkt bestehen zu können?

C.S.: Was unsere Überlebenschancen angeht, so haben umfangreiche Recherchen eine grosse Begeisterung für das Phänomen von Eintagsberühmtheiten in weiten Kreisen der Bevölkerung, unabhängig von Milieu oder individueller Lebenssituation, bestätigt. Wir produzieren mit daily.soup ein klar kommunizierbares, nicht erklärungsbedürftiges und gleich bleibendes Massenprodukt mit extrem geringen Herstellungs- und Lagerkosten. Unser Produkt wird über unsere Web-Plattform angeboten und per E-mail vertrieben. Das Netz bietet die Grundlage, unser Produkt effizient abzuwickeln. Darum können wir uns auch eine kleine und kostensparende Organisations - und Infrastruktur leisten. Schon früh war klar, dass wir nicht alles leisten können oder wollen. Um flexibel zu bleiben, haben wir Unternehmensbereiche ausgelagert. Das betrifft die Entwicklung und Betreuung der Web-Plattform, das Finanzwesen und weite Teile des Marketings. Das kostet zwar alles viel Geld, schafft aber Freiräume und Luft zum Atmen. Darüberhinaus pflegen wir einen intensiven kommunikativen Austausch mit unseren Kunden und Mitarbeitern.

E.S.: Wie sieht der angesprochene kommunikative Schwerpunkt  von daily.soup konkret aus?

C.S.: Kommunikation dient der Markenbildung und Kundenbindung. Ausschlaggebend ist eine glaubwürdige Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden. Wir verzichten bei der Kundenbetreuung auf standardisierte Gesprächsformen und Standardformate. Bei Rückfragen oder Anmerkungen erfolgt die Antwort schnell und in persönlicher Form, die den Kunden direkt anspricht. Das ist die Grundlage für eine langfristige Beziehung und trägt auch zur Werbung durch unseren Kundenstamm bei. Des weiteren ist Kommunikation auch Mittel zur Marktforschung. Bei regelmässigen Präsentationsterminen suchen wir den persönlichen Kontakt mit unseren Kunden. Im direkten Austausch lernen wir die Wünsche unserer Kunden besser kennen. Wir signalisieren, wir sind für Kritik und Anregungen offen, und arbeiten dadurch mit geringeren Reibungsverlusten und Qualitätsfehlern. Das alles optimiert die Unternehmen-Kunden-Beziehung, muss aber auch durch kontinuierliche Arbeit immer wieder bewiesen werden.

 

Erfolg

E.S.: Wie definieren Sie Erfolg?

C.S.: Im Marktgeschehen geht es um Profit, sowohl für den Kunden wie für den Anbieter, sei es emotionaler oder wirtschaftlicher Profit - das ist das kleine Einmaleins des Kapitalismus. Wenn wir auf dieser Basis die Erwartungen unserer Kunden erfüllen, sind wir hoffentlich erfolgreich. Darüberhinaus bedeutet Erfolg für mich gesellschaftliche Unabhängigkeit.

 

Flexible Formate

E.S.: Nach welchen Regeln und Grundsätzen haben Sie das Unternehmen daily.soup entwickelt und gestaltet?

C.S.: Schon vor meiner Begeisterung für «Eintagsberühmtheiten» interessierte mich die Frage, wie wir mit Informationen in unserer medialisierten Welt umgehen. Ich haben mich vor der Gründung der Agentur mit den Auswirkungen unserer Mediengesellschaft auf individuelle Lebenswelten beschäftigt, sei es als Journalist, Künstler oder engagierter Zeitungsleser. Dabei bewegte ich mich sowohl in kulturellen, sozialen und ökonomischen Sphären. daily.soup hat daher weder einen rein kommerziellen, noch rein wissenschaftlichen, noch einen rein unterhaltenden Anspruch. Der Mehrwert liegt in den Schnittmenge dieser Sphären, im «fuzzy-space». Mit dieser Erkenntnis habe ich das Produkt, den Vertrieb und das Marketing entwickelt.

E.S.: Was bedeutet der Begriff «fuzzy-space»?

C.S.: Im Wörterbuch wird fuzzy mit den Begriffen «verschommen» und «unscharf» erklärt. Wohingegen «fuzzy-headed» mit «nicht ganz klar im Kopf» übersetzt wird. Der Begriff «fuzzy» wurde aber erst in Verbindung mit der «fuzzy-logic» bekannt. Dieser Begriff betrifft die Logik der Unschärfe und stammt aus der neueren Mathematik und Prozesstechnik, wo man erkannt hat, dass es auch hier mehr auf die Beziehung zwischen den Dingen ankommt als auf die genaue Position der Dinge selbst.

E.S.: Also führen unscharfe Messwerte eher zu richtigen Konzepten der Wirklichkeit als exakte Datenerhebung. Warum ist das so?

C.S.: Die Natur hat keine mathematischen Konstrukte entwickelt, sondern flexible Organismen, die mal grösser, mal kleiner sind, die Spielraum lassen und gerade dadurch entwicklungsfähig sind. Aber diese Flexibilität gilt eben auch für andere vernetzte Systeme.

 

Info über Info

E.S.: Wie sieht es im Unternehmen daily.soup aus?

C.S.: Die Nachrichtenagentur arbeitet mit anderen Agenturen und Medien zusammen. Diese liefern Content, beziehen diesen aber auch von uns. Darüberhinaus unterhalten wir ein eigenes kleines, doch weltweit tätiges Korrespondentennetz. Diese Quellen füttern täglich unseren Informationspool mit hunderten von Meldungen, aus dem die Hauptredaktion das Produkt daily.soup zusammenstellt, das wir dann per E-mail vertreiben. In der Hauptredaktion arbeiten momentan vier Personen, die die Distribution und die Betreuung der Kunden gewährleisten.

 

Moneyfucker & Diskurstheorie

E.S.: Welche Finanzierungsmöglichkeiten sieht ihr Businessplan vor?

C.S.: Hauptsächlich Abo-Gebühren. Ein Jahresabo bietet dem Kunden freien Zugang zu allen Informationen, des weiteren ist eine monatliche Printausgabe der Meldungen inbegriffen. Einen geringeren Teil müssen wir über Werbeeinnahmen erwirtschaften. Trotz Stagnation in diesem Bereich rechnen wir in Zukunft wieder verstärkt mit Werbekunden.

E.S.: Was kostet ein Abo und wie viele Meldungen werden im Durchschnitt monatlich publiziert?

C.S.: Momentan liegt das Jahresabo bei 198 Euro. Die Einzelausgabe kostet 18 Euro. Monatlich sind es ca. 120 Meldungen, die den Sprung in die strenge Auswahl der Redaktion schaffen.

E.S.: Die Konkurrenz im Informationsmarkt ist gross. Wodurch unterscheidet sich daily.soup von anderen Unternehmen?

C.S.: Unser Anspruch und Mehrwert liegt in der losen Vernetzung unterschiedlicher Leistungen. Jeder der ein Produkt kauft, erhält in der Regel die Hardware in Form praktischer Bausteinen und die Software, die erklärt, wie das Produkt zu nutzen ist. Erst beides zusammen ergibt ein vollwertiges Produkt. Doch selten geht das gut. Entweder passen Hard- und Software nicht zueinander oder eine Komponente ist so kompliziert, dass der Aufwand der Entschlüsselung in keinem wirtschaftlichen oder zeitlichen Verhältnis zur versprochenen Leistung des Produkts steht. Am Ende siegt der Frust- über den Lustfaktor. Wir haben dieses Problem bei unseren Angeboten berücksichtigt und die starre Beziehung zwischen Hard- und Software entkoppelt. daily.soup besteht aus einfachen Bausteinen in Form von Textbausteinen und die Software aus einem Diskurs über Information, Medien und Gesellschaft. Beides kann, muss aber nicht aufeinander angewendet werden.

E.S.: Und wie bzw. wo wird dieser medientheoretische Diskurs sichtbar? Doch nicht in Form netter Geschichten die daily.soup vertreibt?

C.S.: Nein. Neben «netten Geschichten» nutzen wir Firmenpräsentationen mit Gesprächsveranstaltungen und Ausstellungen für die Auseinandersetzung mit diesen Themen. Dieses nachhaltige Engagement erklärt sich aus unserer Firmenphilosophie. Unser Credo lautet: «daily.soup - Dass, was die Welt im Innersten zusammenhält».

E.S.: Sie sprechen jetzt von ihrer Marketingstrategie?

C.S.: Nein, diese Engagement geht über reines Marketing hinaus. Im Marketingbereich arbeiten wir mit kleine Übersetzungen, d.h. wir investieren kaum Geld in diesen Bereich, sondern versuchen über Kooperationen mit anderen Unternehmen und Institutionen die Marke zu etablieren und weitere Marktanteile zu erobern. Noch wichtiger ist für uns die Member-get-Member-Idee. Über eine gute Unternehmen-Kunden-Beziehung lässt sich die Marke langfristig etablieren. Das sind nun weiss Gott keine neuen Strategien, doch sie funktionieren immer noch.

 

Kunst, Geld & Markt

E.S.: Sie bewegen sich mit Präsentationen, Ausstellungen und Aktionen auch im Kunstkontext. Wie kommt es zu diesem Engagement?

C.S.: daily.soup möchte sich nicht auf eine Sphäre beschränken. Ich komme selbst aus dem Bereich der «freien Kunst», daher interessieren mich Fragen, die im Kunstkontext diskutiert werden: Was verstehen wir heute unter dem Schlagwort «öffentlicher Raum» und wie ist «Privatleben» heute möglich? Neben diesen Berührungspunkten interessiert uns auch der Kunstmarkt.

E.S.: Sie interessiert vor allem das Geld.

C.S.: Ja. Wir tauchen im Kunstkontext auf, um im Kunstmarkt ausgiebig zu wildern.

E.S.: Wie soll das funktionieren? Sie verkaufen keine Kunst.

C.S.: Das spielt keine Rolle. Stellen wir uns einen traditionellen Marktplatz vor. Früher gab es auf den städtischen Märkten ein reichhaltiges Angebot unterschiedlicher Waren, Brot, Gemüse, Wollsachen, Haushaltsartikel, etc. Die Ware wurde vom Anbieter klar deklariert. Der Gemüsehändler pries sein Gemüse, der Wollhändler seine Socken an. Je nach Produkt positionierten sich die Händler mit ihren Ständen im Marktgeschehen. Gemüseanbieter formierten sich genauso wie die Eierverkäufer. Das hatte den Vorteil, dass man ohne grossen Zeitverlust durch langes Suchen das erstehen konnte, was jeweils notwendig war. Des weiteren konnte der Kunde die Angebote problemlos vergleichen und entsprechend günstig einkaufen. Heute reicht die Nachfrage in einem einzelnen Marktbereich wegen der gewachsenen Konkurrenz unter den Anbietern nicht mehr aus, um wirtschaftlich zu überleben. Das hat zur Folge, dass Unternehmen Produkte mit mehreren Qualitäten entwickeln und diese in unterschiedlichen Marktsegmenten positionieren. Der Mobilfunkhersteller bietet sein Telefon mit integrierter Camera an, der Wäschetrockner funktioniert auch als Toaster, etc. Ähnliches spielt sich heute auch im Dienstleistungssektor ab, obwohl ich den Zeitungsausträger, der gleichzeitig die Frühstücksbrötchen liefert, noch vermisse. Die Losung lautet immer: Erobere neue Märkte!
Während Unternehmen nun krampfhaft versuchen, ihren Produkten weitere Qualitäten in Funktion und Gebrauch anzuhängen, bietet unser Produkt den Vorteil, ohne weitere Modifikationen ein breites Interesses zu bedienen. Diese Voraussetzung ermöglicht eine Positionierung in unterschiedlichen Marktbereichen. daily.soup beschränkt sich daher nicht ausschliesslich auf den Informationsmarkt, sondern versucht in «verwandten» Marktsegmenten sein Produkt zu etablieren. Dass wir den Kunstkontext gewählt haben, hängt mit der Überzeugung zusammen, dass Produkt und Markt zueinander passen und wir in diesem Markt einen noch grösseren Absatz erwarten als im Gemüse- oder Automarkt.

E.S.: Das hat alles noch nichts mit Kunst zu tun.

C.S.: Darum geht es auch nicht. In diesem Fall deklarieren wir unser Produkt als «Kunst». Wenn Sie so wollen, verkaufen wir unser Produkt unter Vorspiegelung falscher Tatsachen. Wir verfolgen damit eine parasitäre Marketingstrategie. Wir sind nicht die Ersten und Einzigen, die mit dieser Strategie arbeiten.

E.S.: Und das geht?

C.S.: Bei Kunst schon.

E.S.: Haben Sie da kein schlechtes Gewissen?

C.S.: (lacht) Nein. Wir verkaufen ein Medienprodukt im harten Wettbewerb und werden ausschliesslich an unserem ökonomischen Erfolg gemessen. Wer nicht mit innovativen Ideen und Konzepten arbeitet und dabei die Gesetze des Marktes berücksichtigt, fliegt raus. Der Kunstmarkt ist der grösste legale unregulierte Finanzmarkt der Welt. Das heisst: auch dort geht es um Gewinnmaximierung und Profit und dabei spielt Spekulation eine enorme Rolle. Das ist aufregend, hat aber mit Kunst nicht viel zu tun.

 

Joe sagt: «Wer nicht denken will, fliegt raus!»

E.S.: Joseph Beuys hat einmal gesagt, «Wer nicht denken will, fliegt raus». Das gilt also sowohl für den Künstler wie auch für den Unternehmer.

C.S.: Sicher, ich stehe aber der häufig proklamierten gesellschaftlichen Relevanz von Kunst skeptisch gegenüber. Der Kunstkontext bietet zwar Raum für Experimente, doch handelt es sich dabei, wie Luhmann zeigt, um ein autonomes System. Die Wirkung der Protagonisten zielt nicht auf Personen ausserhalb des Systems, sondern ausschliesslich auf seine Teilnehmer. Innerhalb des Systems entwickelte Strategien, Methoden oder Erkenntnisse wirken sich deshalb nicht auf andere Systeme aus. Daher schliesst das System «Kunst» auch eine Infizierung der Bevölkerung mit neuen und innovativen Ideen aus. Da haben politische und ökonomische Sphären weit grösseren Einfluss. Wir beschränken uns mit unserer parasitären Strategie auf Marktressourcen im Kunstkontext. Aufmerksamkeit ist auch ein begrenztes Gut, insofern auch eine ökonomische Ressource.

E.S.: Andere Wirtschaftsunternehmen sehen in der Beziehung zwischen Ökonomie und Kunst noch weitere Vorteile und sprechen in diesem Zusammenhang von Synergieeffekten.

C.S.: Dabei sprechen sie nicht von Kunst als geistigem oder ästhetischem Produkt, sondern vom Zusammenwirken wirtschaftlicher Kräfte. Synergie beschreibt eine Wirkung durch die Verbindung von Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung. Die jeweiligen Aufgaben können von dem jeweils anderen Unternehmen effizienter gelöst werden, da dieses schon über eine entsprechende Organisationsform, Infrastruktur und Know-how verfügt. Unternehmen dient Kunst in diesem Zusammenhang als ideologiefreies Medium, um wirtschaftliche Interessen zu transportieren und Ansprüche zu markieren. Dazu braucht es einen Anbieter dieser Leistung mittels Kunst und einen Abnehmer dieser Leistung mittels Kunst. Beides sind kommerzielle Unternehmen, Kunst ist dabei ausschliesslich Handelsware. Ihre künstlerische Qualität existiert unabhängig von Synergiekräften. Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose; darüber hinaus gibt es keine transferierbaren Leistungen, es sei denn ich nutze sie nicht als Blumenschmuck, sondern als Mittel, um soziale Bedingungen positiv zu beeinflussen, und schenke sie Ihnen.

E.S.: Vielen Dank für die Blumen. Doch werden dem «geistigen oder ästhetischen Produkt» Kunst inspirative Kräfte zugeschrieben. Vielleicht ist dies ein Grund für Unternehmen und Führungskräfte sich für Kunst zu engagieren.

C.S.: Also davon halte ich überhaupt nichts. Führungskräfte, die daran glauben, dass eine Auseinandersetzung mit Kunst unternehmerische Fähigkeiten fördert, werden bald ohne Unternehmen dastehen. Kunst ist in diesen Kreisen Imagefaktor und teures Hobby. Abgesehen vom Waren- oder Fetischcharakter besitzt Kunst ein geistiges Potential, das sich fern wirtschaftlicher Gedanken um Bilanzen entfaltet. Kreativität stellt sich nicht durch die Betrachtung von Kunst ein, sondern durch vernetztes Denken bei der Entwicklung von Lösungsmodellen anhand konkreter Probleme. Die Probleme, die kreatives Handeln im Wirtschaftsleben erfordern, liegen ausserhalb künstlerischer formaler Fragen, somit sollten sich Unternehmen auch auf ihre spezifischen Problemstellungen konzentrieren.

 

daily.soup im Reich der Kunst

E.S.: Welche konkreten Vorteile verspricht sich daily.soup durch seine Präsenz im Kunstkontext?

C.S.: Wir versuchen, das Vertriebswesen von Kunstinstitutionen für unsere Anliegen zu nutzen, akquirieren Kulturgelder, erschliessen neue Öffentlichkeiten und begeistern als Marktschreier und Storyteller Menschen für unser Produkt. Der Kunstbetrieb ist ein Netz, das unterschiedliche gesellschaftliche Sphären verbindet. Jeder kann bedenkenlos über Kunst reden und nutzt dies dementsprechend aus. Nichts ist einfacher, als über Kunst zu plaudern. Mit dieser Erkenntnis ist es leicht, Kontakte zu knüpfen, die an anderen Orten und in anderen Zusammenhängen ihre Wirkungen entfalten können. Im speziellen Fall von daily.soup trägt das Feedback natürlich auch zur Produktoptimierung bei. Unabhängig von diesen Gründe macht der vielfältige Austausch auch Spass.
Wenn wir bei einem Projekt konkrete Vorteile für ein Engagement im Kunstkontext erkennen, sind wir die Letzten, die sich selbst ein Bein stellen, «nur» weil es sich um Aktionen im Reich der Kunst handelt.

 

Anarchie & der Film läuft im Kopf

E.S.: Das Erscheinungsbild von daily.soup ist, positiv formuliert, sehr einfach gehalten. In der Regel handelt es sich um eine schwarz-weiss fotokopierte Blättersammlung. Das sieht nicht sehr nach Gewinnmaximierung, fetten Profiten und Luxus aus, sondern eher nach einem anarchistischen Fanzine. Wieso diese visuelle Bescheidenheit in quietschbunten Zeiten eines globalisierten Medienspektakels?

C.S.: Unsere corporate identity glänzt nicht durch Farbe, umfangreiches Bildmaterial oder edles Papier. Das halten wir auch nicht für notwendig, denn der Informationsmarkt ist schnelllebig. Wir investieren unsere gesamten Ressourcen in das Produkt «Information». Wir halten unsere Produktionskosten extrem niedrig und sind dadurch flexibel und schnell. Des weiteren unterscheidet uns unser Erscheinungsbild von allen anderen Medienunternehmen. Ich halte das für einen grossen Vorteil, mit dieser Differenz werden wir auch der Ökonomie der Aufmerksamkeit gerecht. Abgesehen davon wird das Produkt »Information» nicht dadurch besser oder schlechter, wenn es auf rosa Papier angeboten wird. Wir setzten auf den Farbfilm, der sich während der Lektüre im Kopf unserer Leser abspielt. Wenn uns das gelingt, haben wir unseren Anspruch erfüllt.

 

Future & Fiction

E.S.: Wie sieht die Zukunft von daily.soup aus? Was steht im Strategiepapier?

C.S.: Kurz und bündig:  Wir wollen daily.soup als so genannten Global Player im Informationsmarkt etablieren und nicht als Futter für andere Global Player enden.

E.S.: Viel Erfolg. Ich danken Ihnen für das Gespräch.

 

 

 

Weitere Informationen unter http://www.daily-soupport.com.

 

 

 


Das Interview fand an mehreren Tagen im September 2002 in London statt und wurde in der Ausgabe Nr. 10/02 der englischen Zeitschrift Economic Standard, London publiziert. Die Fragen stellten Ernie & Bert, Übersetzung Ms. Piggy
Copyright © 2002 bei Christof Salzmann
Text-URL http://www.wortwerk.ch/file_sharing/textarchiv/salzmann_interview.html