«meine welt besteht aus rot, gelb und blau.» matthias kuhn im gespräch mit hildegard spielhofer. |
die sinnlosigkeit des lebens matthias kuhn: was ist kunst? das interessante an der frage ist doch, dass keiner sie beantworten kann, obwohl alle immer wieder so tun, als könnten sie sie beantworten. man versucht's auch immer wieder. das finde ich richtig ... so kommen immerhin neue aspekte zu der frage zusammen ... hildegard spielhofer: kunst hat doch - mindestens im moment - sehr viel mit markt zu tun. das finde ich sehr einengend, wenn du künstlerin bist, bist du eigentlich wie ein marktartikel. und du hast deinen marktwert. unabhängige kunst, kunst mit einem anliegen, oder kunst, die nicht von einer institution, oder von einem markt getragen wird, ist uninteressant, dass man nicht gehört wird ... kuhn: es gibt bei uns aber doch auch initiativen, die an den institutionen vorbeiarbeiten und die inovativ und gut sind. hat das nicht auch mit der entwicklung einer künstlerbiografie zu tun? am anfang versucht ein künstler die traditionellen wege einzuschlagen, er versucht karriere zu machen und mit seiner kunst geld zu machen. irgendwann ist das vorbei und du denkst nicht mehr an die museen und galerien und hoffst auf deinen durchbruch. du merkst, dass diese mechanismen sehr langsam in gang kommen, oder sonst shooting star-mässig funktionieren. also bleibt dir als künstlerin doch nichts anderes übrig, als dranzubleiben und deine arbeit zu machen. und da gibt es dann doch auch wege, die nicht von den institutionen getragen sind. spielhofer: ich glaube es kommt auf die innere haltung beim kunst machen an. «unabhängige» künstler müssen mit viel mehr opferbereitschaft, oder besser mit viel mehr hingabe, das tun, was sie tun. die künstler müssen viel überzeugter sein von dem was sie tun und davon, wieso sie etwas machen ... und die künstler haben eine message. ich habe das gefühl, ich habe etwas zu sagen und ich will etwas sagen. kuhn: der einzige weg bei uns eine message zu haben, wäre vielleicht, wenn man politisch etwas zu sagen hätte. aber sonst geht das doch relativ schnell in die falsche richtung. und politische kunst im engeren sinne ... spielhofer: das gibt es vielleicht am ehesten in bezug auf frauenspezifische themen. sonst gibt es bei uns glaube ich keine politische kunst, dafür geht es uns zu gut. ich glaube das hängt zusammen. kuhn: heisst das jetzt ein bisschen platt ausgedrückt: um engagiert kunst zu machen, musst du leiden? spielhofer: das ist gar nicht platt: leben heisst leiden. kuhn: dass stimmt, klar. aber ich meinte: wir leiden nicht am täglichen, praktischen leben. klar leiden wir existenziell. es ist bestimmt etwas dran: dass künstler kunst machen, weil sie unlösbare knoten zu lösen haben. ich meinte: wir leiden nicht an den lebensumständen. ich kann mir zum beispiel leisten kunst zu machen und nichts damit zu verdienen. das ist doch eine sehr komfortable lage ... das ist so eine art luxus. ich leiste mir die kunst. spielhofer: das ist kein luxus. du investierst ja zeit, du gibst lebenszeit an deine kunst. und deine lebenszeit ist beschränkt. zwangsläufig. aber noch einmal zurück zum leiden. das menschliche dasein ist immer gebunden an leiden. man wird krank, man stirbt, man hat verluste. und eine der existenziellen fragen ist dann, wie erkennst du diese situation und wie gehst du damit um. du kannst diese situation verdrängen. es gibt da viele mechanismen ... kuhn: es ist die frage, ob kunst die spezifische bewältigung dieser probleme ist, oder ob kunst eskapistisch ist, indem der künstler nämlich im prinzip weiss, dass das leben keinen sinn hat und dann strategien entwickelt, um nicht dauernd daran denken zu müssen ... es gibt menschen die verdrängen die sinnlosigkeit des lebens, indem sie dauernd arbeiten, oder die dröhnen sich zu und wir - die künstlerinnen und künstler - machen kunst. spielhofer: was sind diese fragen? konkret meine ich: du hast gesagt, dass sie dich brennend interessieren ... kuhn: ich meinte diese fragen, die mich als künstler beschäftigen. zu beispiel: was ist kunst?
hohe flexibilität im denken spielhofer: ich finde nicht, dass der mensch die krönung der schöpfung ist, aber ich finde, er ist etwas spezielles. speziell in dem sinn, dass diese lebensform ein geheimnis in sich birgt und ich will diesem geheimnis näher kommen. ich möchte wissen was es ausmacht, dass ich ein mensch bin. was ist dieses spezifisch menschliche? kuhn: das wäre doch die introvertierte argumentation für die selbe sache, die ich vorher extravertiert geschildert habe: du fragst dich selbst, was du bist, was du für ein wesen bist, was dich ausmacht. und ich fragte: was ist es, das die menschheit ausmacht? wir wissen, dass wir beschränkte zeit auf dieser erde leben werden. mit unserer geburt hatten wir nichts zu tun, wir müssen sterben, unsere zeit ist beschränkt und irgendwie richten wir uns jetzt ein, in dieser zwischen-zeit. da kommen viel zwänge ins spiel, du hast eine gewisse freiheit ... künstler nehmen sich doch ein ziemliches hoher mass an freiheit heraus ... spielhofer: das finde ich auch, ja. aber die frage ist doch - und das ist auch der grund weshalb die kunst funktioniert - wenn du eine frage hast, die du dir selber stellst, dann kannst du diese frage für dich sehr persönlich beantworten, aber sie wird auch eine allgemeingültigkeit haben. kuhn: das ist doch in der definition schon ein grosser schritt weiter: was du sagst, ist doch ein merkmal guter kunst. wenn kunst einen punkt erreicht, wo ich sie für mich brauchen kann, wo sie mich zu betreffen beginnt, obwohl du die arbeit für dich gemacht hast, dann bekommt kunst eine allgemeingültigkeit, dann kann ein publikum etwas damit anfangen. und die arbeit muss aber immer noch genau deinen vorstellungen entsprechen, du hast keine konzessionen machen müssen. du hast deine arbeit aber auf eine ebene gebracht, die für andere zugänglich ist, weil sie betroffen sind. spielhofer: man kann auch sagen, weil sie für andere lesbar wird. kuhn: genau, weil sie lesbar wird. ich glaube das ist der anspruch an künstlerische arbeiten, dass sie lesbar werden. das hat doch sehr viel mit strategien zu tun: die art wie man sich einrichtet in seinem umfeld und wie man sich bewegt in diesem umfeld. spielhofer: strategien haben doch sehr viel damit zu tun, dass man sich ein ziel setzt und dass man sich sehr bewusst bewegt. strategie ist doch ein begriff, der aus der militärsprache kommt. deshalb hat der begriff dieses streng determinierte. ich finde das funktioniert in der kunst nicht - oder höchstens punktuell. ich finde in der kunst kannst du nicht zweckorientiert oder zielorientiert arbeiten. vieles geschieht doch im arbeitsprozess. klar muss du ein ziel haben, aber du musst doch bereit sein fehler zu machen. kuhn: das ist doch das resultat der arbeit ... spielhofer: genau. ich denke, in der kunst sind solche momente sehr wichtig. selbstorganisierte systeme funktionieren zum teil auch so ... das ist dann aber genau der punkt, wo etwas zu tragen beginnt und du merkst, das ist es jetzt. kuhn: da bin ich voll damit einverstanden, dass das so funktioniert. vor allem der punkt mit der aufmerksamkeit, der dann aber meiner meinung nach mit einer hohen flexibilität im denken und handeln verbunden sein muss. spielhofer: eigentlich scheitert man permanent. die frage ist dann einfach, ob man das aushält, ob man das ertragen kann, dass man immer wieder an diesen punkt kommt, wo einem bewusst wird, dass man die lösung, das ziel nie finden und erreichen wird. du hast das gefühl, dass du immer näher kommst, aber damit rückt sie auch immer weiter weg. kuhn: hier liegen eine konstruktive und eine destruktive definition extrem nahe beisammen. du kannst davon ausgehen, dass du immer wieder scheitern wirst, dass du es nie schaffen wirst. so gesehen ist es extrem desillusionierend. du kannst eigentlich aufgeben. auf der andern seite merkst du aber - und das ist dann sehr konstruktiv - du kommst der sache immer näher, mit jedem scheitern bist du einen schritt weiter gekommen. mit all diesen antworten, oder besser, mit all diesen fragestellungen, kreist du den kern weiter ein ... in diesem zusammenhang ist auch die frage nach dem scheitern, dem gesamtscheitern, eine ganze andere. denn diese möglichkeit, an deinen themen arbeiten zu können und dabei schritt für schritt weiter zu kommen, obwohl du weisst, dass du nie eine lösung haben wirst, scheint mir extrem komfortabel zu sein. spielhofer: das wesentliche ist doch, dass du dir in diesem permanenten scheitern immer mehr freiräume öffnest, indem du dich von fixen vorstellung löst, oder von ideen, die du zwar im kopf, aber gar nie erfahren hattest. damit klärst du deine fragestellung immer weiter. am schluss hast du eigentlich eine klare frage. du erkennst klar was eigentlich die frage ist. die antwort wirst du nicht kennen, aber die frage. kuhn: ich glaube, das ist auch ein merkmal von träumen, von dingen die man sich erträumt. träume können gar nie realität werden. wenn sie nömlich realität sind, dann sind sie gar nicht mehr die erfüllung, denn der nächste traum baut sich schon auf.
«man bewegt sich in einer art ereignislandschaft.» spielhofer: kommen wir doch nochmals auf den begriff der strategie zurück ... kuhn: da waren wir uns ja einig: man versucht immer wieder sein leben und seine kunst strategisch zu planen. aber diese strategie logisch und konsequent umsetzen, das kann man nicht. deshalb müsste man den begriff öffnen. wie würdest du diesen begriff öffnen? spielhofer: der begriff der strategie hängt für mich klar mit einem kausalen weltbild zusammen: alles hat eine ursache und eine wirkung. ich finde diese weltbilder sehr veraltet ... kuhn: ist das eine wissenschaftliche äusserung, oder ist es eine psychologische? spielhofer: es gibt zum beispiel diesen peter beamish aus trinity/NF, der wale erforscht. er behauptet, dass er mit allen lebewesen kommunizieren kann. und zwar sendet er rhythmisch, in zeitbrüchen, signale aus. er macht das mit hilfe von computerprogrammen. er sagt nun, dass jedes lebewesen einen bestimmten rhythmus hat, oder eine bestimmte frequenz, und wenn du in diesem rhythmus sendest, kannst du kommunizieren. da macht er jetzt den link, dass zeit nicht analog sei, sondern ausgedehnt ... kuhn: ist es nicht ein problem, dass uns die analogien fehlen, um die zeit vorstellbar zu machen. ich habe unglaubliche mühe damit, mir die zeit vorzustellen, wenn ich sie mir anders als linear chronologisch vorstellen will ... spielhofer: traumwelten zum beispiel haben doch eine andere zeitdimension. kuhn: sience fiction-filme versuchen ja auch immer, zeit anders vorstellbar zu machen. man spricht dort ja auch zum raum-zeitkontinuum, und es geht um eine andere vorstellung von zeit als in unserer linear-chronologischen vorstellung. spielhofer: ich glaube, das ist ein thema seit der umschärferelation, seit heisenberg. damals hat man begonnen, das aufzubrechen. dort geht es ganz klar darum, dass zeit eine dimension ist. damit kann man sich dann auch vorstellen durch zeitlöcher brücken zu schlagen. das geht noch viel weiter. ich finde diese vorstellung unglaublich motivierend und sehe eine unglaubliche öffnung der gedankenwelt. kuhn: du hast dieses thema der zeit angeführt um deinen individuellen strategiebegriff zu erläutern ... spielhofer: ich habe damit gemeint, dass dieses zielgerichtete vorwärtsgehen für eine arbeit nicht förderlich ist, dass man auf diese weise zuviel auslässt, weil man arbeitet, als trüge man scheuklappen. man merkt dann gar nicht mehr was passiert links und rechts, und was sich verändert. ich denke, jeder moment ist ein anderer moment. permanent werden neue momente erschaffen. auf die andere seite stimmt es, dass man ein ziel braucht, um nicht zu stark abgelenkt zu werden ... kuhn: wenn man sich vorstellt, dass das ziel so formuliert ist, wie das ziel auf einer wanderung - ich weiss dort genau, dass ich letztlich auf den berg rauf und zum bergrestaurant will - dann wird es schwierig. mein ziel, oder das ziel meiner arbeit, ist nicht so klar formuliert, ich will mit meiner arbeit nicht zum bergrestaurant ... wahrscheinlich geht es nicht darum das ziel zu erreichen, sondern nur das ziel am schluss formulieren zu können. wenn ich es weit bringe, bringe ich es soweit, dass ich weiss wo ich hingewollt hätte ... dann sind wir wieder an dem punkt, den du formuliert hast: wir haben am schluss eine frage und keine antwort. spielhofer: ... man bewegt sich in einer art ereignislandschaft ... kuhn: genau. oder eben in einem kontinuum. man erlebt hier etwas, dort erfährt man etwas, äussert etwas, produziert und so weiter. dabei kommt man dem, was wir vorher ziel genannt haben, immer näher. wir erleben aber nicht linear, sondern in einer fläche ... spielhofer: oder in einer landschaft. ziel ist wahrscheinlich in diesem zusammenhang einfach ein schlechter begriff, denn ziel verstehen wir immer zielgerichtet, auf einen punkt zu. ziel ist ein zentralperspektivischer begriff. der netz- oder geflechtgedanke, oder die idee von einer topografie das kommt der zeit als qualität näher, eben eine ausdehnung, nicht nur in eine richtung ... kuhn: und wie bewegst du dich in der topografischen zeit? spielhofer: sprunghaft ... kuhn: wie im denken. beim denken bewegen wir uns ja anders. obwohl wir diesem ursachen-wirkung-denken sehr verhaftet sind, denken wir viel sprunghafter als wir uns bewegen. spielhofer: ich glaube es geht um ein bildhafteres denken, um ein räumlicheres denken. ja, man bewegt sich sprunghaft ... es könnte aber auch sein, dass man mit dieser zeitvorstellung das gesamte im blick hat ... man hat alle punkte gleichzeitig im kopf ... kuhn: diese landschaft, die man kopf hat, wäre wie die wirkliche landschaft von entfernungen geprägt, von grösserer und weniger grossen präsenz der gedanken, die nicht hierarchisch und nicht linear in dieser landschaft liegen, es herrscht sozusagen eine informations- und eindrucksgleichberechtigung ... spielhofer: so funktioniert doch das gehirn. da kommt mir das beispiel der «songlines» in den sinn. die aborigines hatten in australien viele verschiedene stämme, die zum teil sehr weit auseinander lebten. wenn nun einer aus dem einen stamm einen andern stamm besuchte, kannte er ja den weg nicht, er wusste nicht, wo er durchgehen muss, und strassen gab es in unserem sinn nicht. diese stämme kennen aber so etwas wie eine geschichtenlandschaft. das heisst, sie sangen beim gehen und die lieder führten sie durch die landschaft an ihr ziel. diese vorstellung sich in der landschaft zurechtzufinden, finde ich unglaublich. kuhn: wie geht das genau? spielhofer: vereinfacht gesagt, sie sangen eine wegbeschreibung. bei uns läuft das anders. wir kennen die wege und können sie deshalb wieder finden, oder wir kennen die wege nicht, können sie aber auf der karte finden. sie kennen die wege nicht, finden sie aber aufgrund einer mündlich tradierten überlieferung ... anhand dieser geschichten, die über die entstehung des landes etwas erzählen über die wege, die zu gehen sind. kuhn: diese diskussion um die vorstellung der zeit müsste man als künstler auch versuchen auf den raum zu übertragen. auch vom raum haben wir doch sehr abendländisch geprägte vorstellungen.
kunst als forschung spielhofer: ich lese im moment dieses buch von erich jantsch über selbstorganisierte systeme. er spricht hier zum beispiel von systemen die stark wachsen und sich dann, um das wachstum zu bremsen, selbst regulieren und einbrechen. wir haben doch diese vorstellung, dass wir grenzenlos wachsen können. kuhn: wir haben aber auch mit technischer und medizinischer entwicklung geschafft, das eine oder andere auszuschalten. spielhofer: das interessante ist, dass jantsch diese theorien auch auf gesellschaftliche systeme überträgt. er schreibt über natürliche systeme und überträgt diese dann auf gesellschaftliche. er arbeitet ein grundprinzip heraus, das sich nachher umfassend anwenden lässt. er nimmt aber - selbst als physiker - nicht eine akademische grundhaltung ein, sondern argumentiert umfassender. kuhn: diese sinnlosen fragestellungen sind doch einfach die fragestellungen, die in keinen andern gebieten von belang sind, fragestellungen, die für niemanden, ausser für den künstler interessant sind. spielhofer: das ist die freiheit des künstlers. nur muss er aufpassen, dass er nicht einen zweck erfüllen will und nicht instrumentalisiert wird ... kuhn: das ist doch wahrscheinlich das bestreben zusammenhänge herzustellen und die kunst vermittelbar zu machen. spielhofer: wieso muss man kunst denn immer vermitteln? wieso bevormundet man die leute, indem man kunst vermittelt? kunst muss doch den betrachtenden auch die möglichkeit eröffnen, einfach zu betrachten, einfach zu überlegen... dann passiert doch etwas mit den betrachtenden. vielleicht eröffnet sich dann etwas ... kuhn: da müssten sich die institutionen völlig neu definieren. darin was vermittlung ist und wohin sie führen soll, stimmen wahrscheinlich alle institutionen ziemlich überein. das hat doch sicher primär damit zu tun, dass alle möglichst viele leute ansprechen wollen, oder müssen. spielhofer: damit wird aber leider alles so lau. ich finde da steckt auch dieses idotische denken von der fachfrau und dem fachmann dahinter, die die fachlichen hintergründe vermitteln wollen. dabei könnte man auch davon ausgehen, dass die betrachtenden auch einfach eine farbe schön finden. das wäre doch völlig in ordnung. es müssen doch nicht alle dasselbe verstehen. das geht gar nicht, es lebt ja auch keder in einer andern welt. kuhn: wieso regst du dich so auf. so schlimm ist das alles gar nicht ... kann ja jeder auch einfach so eine farbe schön finden ... spielhofer: doch, ich rege mich dann auf, wenn ich zum beispiel in der neuen pinakothek in münchen bin. wenn alles dem gleichen geschmack folgt. kuhn: ich finde das auch langweilig, gleichzeitig aber faszinierend ... spielhofer: ja, faszinierend, dass es funktioniert. kuhn: diese vereinheitlichung fällt ja auch auf, wenn du zum beispiel in paris in den supermarkt gehst. jedes jahr stimmen noch mehr produkte mit denen überein, die du von zu hause kennst. es ist doch gerade spannend an fremden orten das fremde zu entdecken und nicht das bekannte ... ich finde es aber wirklich auch faszinierend, wie in diesen bereichen die globalisierung als vereinheitlichung auftritt ... spielhofer: und das hat dann wieder viel mit zeit zu tun. weil wir keine zeit haben, muss alles überall gleich sein, weil wir so in der welt herumjetten, müssen wir uns überall sofort zurechtfinden und haben keine zeit uns auf etwas einzulassen. kuhn: ja, du hast recht, du moralisierst da ziemlich stark ... spielhofer: ich weiss, aber ich finde das alles so langweilig. ich will doch an fremden orten etwas anderes sehen als zuhause, damit ich mich selber in frage stellen kann ... vielleicht ist das alles auch auf diese weise ein trugschluss. vielleicht kann ich mich auch hier in frage stellen. kuhn: das ist jetzt aber ziemlich platt, dass du, um dich in frage stellen zu können, nicht weggehen musst ... spielhofer: ... aber es ist bestimmt einfacher ... kuhn: ja, und es stimmt auch, dass es in fremder umgebung einfacher ist, sich selber zu sehen. und wenn das weggehen nur den effekt hat, dass man realisiert, dass man gar nicht hätte weggehen müssen. das hat etwas.
künstlerische forschung ist zweckfrei kuhn: wie ist es denn mit der künstlerischen forschung? was verstehst du genau darunter? spielhofer: wenn ich zum beispiel an den ausstellungsraum «...bei tweaklab» denke, dann meine ich, dass ich dort eine künstlerische fragestellung aufwerfen und dieser fragestellung nachgehen kann. du musst nicht ein produkt haben, das ist wie grundlagenforschung ... kuhn: was ja bestens passen würde. spielhofer: ja, denn diese künstlerische forschung ist zweckfrei. das ist das, was ich auch mache, wenn ich arbeite. eigentlich geht es um radikales handeln. ich habe einmal geschrieben: «wenn ich die verschiedenen dimensionen der welt erkenne, bin ich gezwungen, radikal zu handeln.» im idealfall hätte forschung ebenfalls mit radikalem handeln zu tun, das heisst ich verfolge etwas, habe eine fragestellung und erkennen etwas. erkennen kann man nur, wenn man nicht in einer bestimmten haltung angehört oder folgt. man muss offen sein um zu schauen, was da ist, man muss sehen können. wenn man das wertfrei tun kann, dann kann man, glaube ich, erkennen. dann ergibt sich eine notwendigkeit zu handeln. kuhn: was ist denn erkenntnis? spielhofer: erkennen ist für mich etwas anzuschauen und es nicht zu bewerten, nicht zu sagen, das ist gut und das ist nicht gut ... kuhn: das heisst, du möchtest nicht bewerten? spielhofer: nein. ich kann das gar nicht. ich bin ja kein massstab. kuhn: du bist kein massstab, oder du hast keinen massstab? spielhofer: weder noch, ich bin keiner und habe keinen ... kuhn: ich sehe das umgekehrt. ich finde man muss bewerten. ein anderes wort dafür ist filtern. und zwar nicht im sinn von bevormundung, indem du jemandem sagst was er zu tun hat und was nicht. filtern heisst, ich kann entscheiden wovon ich mehr will und wovon weniger. spielhofer: das musst du auch. aber was ich meine ist folgendes: wenn ich in einer kultur aufwachse, die keine bilder kennt und ich komme in eine bilderkultur und muss ein bild betrachten, dann kann ich das schlichtweg nicht, weil ich das gefühl habe, ich darf das nicht. was dir anerzogen worden ist, musst du ablegen. weil das nichts mit dem betrachten zu tun hat und dann natürlich auch nichts mit dem erkennen. kuhn: das muss auch so sein! spielhofer: wieso? kuhn: das macht dich interessant. spielhofer: kann man denn nicht aus verschiedenen blickwinkeln gleichzeitg schauen? kuhn: ich glaube nicht. was man aber kann, und das muss man auch tun, man muss seine position und seinen blickwinkel immer wieder zu verändern versuchen, um über den gegenstand den man betrachtet auch wirklich etwas in erfahrung zu bringen. man muss sich auch immer wieder andere positionen und blickwinkel anhören, um auch da immer flexibel zu bleiben, flexibel in der art, wie man etwas betrachtet. spielhofer: sonst wäre man eine art mitschwimmer. meinst du das? kuhn: du könntest gar kein profil gewinnen. und genau das, nämlich das profil, finde ich an meinem gegenüber ja interessant. der blick muss in gewisser weise gleich sein, oder ähnlich, sonst würde man sich nicht verstehen, aber es muss eine reibung entstehen, eine spannung ... spielhofer: ... dass sich etwas entzündet ... kuhn: wir versuchen doch immer alles von verschiedenen blickwinkeln aus zu betrachten, aber so weit weg, wie jemand anders sein kann, komme ich von mir selber gar nicht weg ... was ich aber machen kann, ich kann versuchen gegenstandpunkte in mein denken einzubauen und mir dann selber widersprechen, um mich offener zu halten. auf diese weise - finde ich - ist es möglich verschiedene standpunkte, verschiedene positionen zu berücksichtigen. aber gleichzeitig? spielhofer: diese spannung erlebe ich ziemlich stark. ich schaue etwas an und kann mir dabei auch das exakte gegenteil vorstellen und ich muss sagen: auch das gegenteil ist in ordnung. das wirft mich immer hin und her. oder wenn ich mir kunst anschaue, dann kann ich arbeiten sehr schnell verurteilen. das hilft mir sehr, denn auf der einen seite erkenne ich schnell ob etwas gut ist oder nicht, aber auf der andern seite geht auch sehr viel verloren, wenn man schnell urteilt. deshalb versuche ich innezuhalten. und frage mich, ob noch etwas mehr dran ist, als ich auf den ersten blick gesehen habe. kuhn: ich kann mir das gegenteil auch vorstellen ... spielhofer: aber es interessiert dich nicht? kuhn: ja, es interessiert mich nicht. was mich interessiert sind, wie gesagt, die verschiedenen aspekte einer sache ... aber ich habe früher auch gedacht mich interessiert nichts anderes als mein standpunkt ... spielhofer: wie kommst du dazu? das ist so vermessen! kuhn: klar ist das vermessen. aber mich interessiert ja auch dein vermessener standpunkt. spielhofer: das verhält sich doch wie mit einer münze. du kannst zahl anschauen oder kopf, es ist aber immer dieselbe münze ...
fragestellungen klären kuhn: können wir hier noch einen sprung machen? ich möchte gerne noch auf die rollenvielfalt und die rollenflexibilität zu sprechen kommen. du betätigst dich ja als künstlerin, als kuratorin, als dienstleisterin und als dozentin. ich habe mit den jahren festgestellt, dass ich selber immer weniger unterscheide zwischen meinen eigenen rollen. am ende sind es immer wieder die selben fragen, die mich beschäftigen, egal, ob ich mich als künstler, kurator oder auch als lehrer betätige. damit verbunden ist auch die beobachtung, dass die autorschaften immer mehr verschwimmen. ob ich ein projekt alleine mache oder in einer gruppe spielt eine immer kleinere rolle im bezug auf mein empfinden als künstler. die autorenfrage und auch die plattformfrage wird immer weniger wichtig, weil die inhaltlichen fragen, die ich mir stelle im vordergrund stehen. und diese fragen handle ich dort ab, wo ich gerade an der arbeit bin. spielhofer: die frage der autorschaft zum beispiel, die stand für mich nie im vordergrund. ich habe mit sehr vielen leuten in ganz verschiedenen funktionen zusammengearbeitet: ich habe als co-autorin gearbeitet, habe aber auch für künstlerinnen videos geschnitten oder die kamera geführt, das waren dann mehr auftragsarbeiten, oder leute haben für meine arbeiten zum beispiel den sound gemacht. was ich herausgefunden habe ist, dass ich diese zusammenarbeiten sehr unterschiedliche einflüsse hatten. ich habe herausgefunden, dass ich nach all den vielen zusammenarbeiten nun meine eigene küsntlerische position intensiver formen muss, um dann auch wieder mit anderen zusammenarbeiten zu können. ich möchte für mich präzisieren, was denn wirklich meine fragestellungen sind. kuhn: und diese fragestellungen musst du allein klären? spielhofer: ich glaube im moment ja. ich habe an solchen fragestellungen oftmals auch in gruppen gearbeitet. ich stelle fest, wenn ich allein arbeite, komme ich tiefer. ich habe aber noch nie längerfristig mit jemandem zusammengearbeitet, die zusammenarbeiten waren punktuell. kuhn: diese fragestellungen klärst du arbeitend? spielhofer: ich kann das nur so. konkret funktioniert das so, dass ich bilder oder texte wieder aufgreife und mir dann die zeit gebe, daran herumzudenken, zu skizzieren, aufnahmen zu machen, die teile neu zusammenzusetzen, wieder auseinanderzunehmen, und im arbeiten ständig die arbeiten zu überprüfen und zu reflektieren und damit - in dem sinn wie wir das wort vorher gebraucht haben - etwas einzukreisen beginne ... kuhn: ich habe selber lange diese überprüfungen der künstlerischen arbeit nur im team vorgenommen. und das finde ich bis heute ausserordentlich wichtig. denn die gegenstandpunkte - das hatten wir ja vorher - bringen mich weiter ... spielhofer: diese standpunkte muss man sich immer wieder holen. ich lade zum beispiel leute ein ins atelier, und zeige ihnen neue arbeiten und rede mit ihnen darüber. oder ich brauche auch ausstellungen um arbeiten, die in entwicklung stehen, zu zeigen und sie dabei zu überprüfen. damit teste ich arbeiten. ich teste die wirkung einer arbeit und ihre anwendbarkeit ... kuhn: es geht darum die themen und ideen - die arbeiten - zu prüfen in diesem zusammenhang. das ist ein notwendiger schritt bei der entwicklung von arbeiten. bei diesem schritt, der veröffentlichung von arbeiten, muss man sich gewisse fragen klar stellen und muss sie formulieren, fragen, die man vorher nicht deutlich vor augen hatte. und dieser schritt ist wichtig. sobald man zu formulieren beginnt, sobald man sich zu äussern beginnt, das heisst, wenn etwas nach aussen geht, dann kann man sich klar werden über seine arbeit. spielhofer: um auf diese rollen zurückzukommen, ich kann diese verschiedenen rollen nicht unterscheiden, weil die themen dieselben sind und vor allem die sorgfalt, die konzentration und präzision gleich sind. für mich ist das völlig gleichgültig, ob ich für jemanden einen dokumentarfilm schneide, oder ob ich für mich eine arbeit mache, ich bin immer konzentriert. kuhn: wie ist es denn mit dem nutzen, dem nutzen für dich selber? spielhofer: ich lerne immer etwas. klar ist es manchmal unausgeglichen. manchmal gibst du viel mehr als du bekommst. aber ich kann das nicht so abrechnen, das geht so nicht auf ... und ist sehr kurzfristig gedacht. kuhn: vielleicht ist der vorteil, dass du die probleme an fremden arbeiten austesten kannst, da kannst du distanzierter an die sache herangehen. spielhofer: wenn du nicht diese unterscheidung machst zwischen eigener und fremder arbeit, kannst du immer etwas lernen und profitieren. kuhn: und wie steht es mit dem unterrichten? spielhofer: diese frage hat sehr viele facetten. diejenige, die unterrichtet, gibt immer sehr viel her, das ist klar. und dann muss man abschätzen können wieviel man hergibt, denn die studierenden müssen ja auch ihre eigenen erfahrungen sammeln. die studierenden müssen ihren eigenen weg gehen, da kann man sie zu nichts zwingen. man kann höchstens präzise fragen stellen. ich glaube sogar, das ist das einzige, was man tun kann, präzise fragen zu stellen und sich auf die arbeit der studierenden einlassen. und da gibt es dann sehr viele überschneidungen. denn du hast ja selber vielleicht gleiche oder ähnliche fragen gehabt. kuhn: letztlich geht es immer um die selben themen ... spielhofer: das ist ja logisch: es geht um deine haltung, um die fragestellungen, die du hast für dein leben, beziehungsweise für deine kunst. da kommt es doch überhaupt nicht darauf an, ob du hier sitzt oder im unterricht oder ob du im café sitzt ... kuhn: ja ja, aber das musst du dir erst mal bewusst werden. unterrichten ist file sharing ... nichts anderes. es braucht das thema das dich interessiert, das ist klar, dann braucht es hohe flexibilität und neugierde ... spielhofer: ich glaube ich habe zu wenig distanz, um das wirklich beurteilen zu können. aber sicher ist es ein austausch: ich gebe etwas und bekomme etwas, und: wenn man den job seriös macht, gibt man extrem viel. kuhn: was ich festgestellt habe ist das: was mein hineingibt beim unterrichten ist extrem viel und etwas extrem anderes, als das, was man herauszieht. spielhofer: wenn du gewissermassen mit wohlwollen hineingehst in eine diskussion im unterricht und dann fragen stellst und präszisierst, dann kann mit den fragen die zurückkommen, und damit dass du merkst wie die zusammenhänge sind, eine reibung entstehen, die sehr intensiv ist. das spielt dann auf einer intellektuellen ebene, auch emotionen sind mit im spiel ... kuhn: du profitierst dann bei dieser beratung von deinen eigenen erfahrungen als künstlerin. wie steht es mit tweaklab? spielhofer: ich finde diese umgebung von tweaklab eine ideale grundlage zum arbeiten. ich schätze es in einer umgebung zu arbeiten, die nicht nur von künstlern dominiert ist. die umgebung ist sehr konstruktiv.
das gespräch fand statt im rahmen des projektes «file sharing» matthias kuhn/wortwerk.ch im märz/april 2003 im projektraum exex st.gallen. |
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