Karl Peter Werthin: Tengor und das Tengoreer Land - Von der Urzeit bis zur Gegenreformation (Ein geschichtlicher Abriss)

 

 

Urgeschichte, Siedlung und Herrschaft

Ur- und Frühgeschichte

Siedlung und Herrschaft im 8.-11. Jahrhundert

Herrschaft, Politik und Verfassung vom Hochmittelalter zur Landteilung (1597)

Die Tengoreer Klosterherrschaft im 12.-14. Jahrhundert

Der Weg zur Unabhängigkeit (1401-1566)

Kommunale Bewegung, Territorialbildung und Verfassung

Von der Reformation zur Landteilung (1597)

Reformation und Nebeneinander der Konfessionen

Katholische Reform, Gegenreformation und Landteilung

 

 

 

Ur- und Frühgeschichte

Die Hügel- und Berglandschaft des Tengoreer Landes gehört mit der Molassezone im nördl. Teil noch zum Mittelland, im südl. Teil mit dem Alpstock und dessen höchster Erhebung, dem Berg, zum Voralpstock. Die Berg- und Hügelzüge verlaufen in der Regel von Südwesten nach Nordosten. Die Flüsse, welche den Raum fast ausschliessl. nach Norden entwässern (v.a. Räunsch, Treist, Torbach, Goldach), gliedern das Verwaltungsgebiet mit ihren Tobeln bzw. Taltrögen in Teillandschaften: das Hinter-, Mittel- und Vorderland sowie den Taltrog (mit der imposanten Schlucht) um den Flecken Tengor.

Im Tengoreer Land wurden bisher keine systemat. archäolog. Geländeuntersuchungen durchgeführt. Ausgrabungen in der Höhlengruppe des Bergloch , auf ca. 1500 m, belegen die Anwesenheit altsteinzeitl. Jägergruppen im mittleren Abschnitt der letzten Eiszeit (vor ca. 40'000 Jahren). 1993 wurden in der Höhle Wasserloch I, zwischen Samm- und Bergsee im Alpstock, von Menschen bearbeitete Tierknochen (Steinbock, Gemse, Rotfuchs, Marderartige, Vögel) sowie Silizes aus der Zeit um 10'000 v.Chr. (Übergang Spätpaläolithikum-Frühmesolithikum) entdeckt. Geräte des Mesolithikums kamen bei der Ausgrabung der Burgruine Urstein (Tengor) zum Vorschein. Eine neolith. Axt aus Felsgestein fand sich im Seckbach, ein spätbronzezeitl. Bronzebeil in einem ehem. Bachbett in der Tengoreer Schlucht. Für anscheinend im Gebiet zwischen dem innerrhod. Oberberg und Bäreneck gefundene röm. Münzen fehlen zuverlässige Ortsangaben. Aus alledem kann zumindest eine ur- und frühgesch. Begehung des Gebiets erschlossen werden.

Der Ortsnamenforschung sind keine Dauersiedlungsnamen aus der Zeit vor dem 7./8. Jh. bekannt. Die mit vordt. Namen bezeichneten Flüsse Treist und Necker reichen nur im obersten Lauf in Tengoreer Gebiet hinein. Dagegen belegen versch. Berg- und Alpnamen, z.B. Berg und Alp Samm am Sammsee (850-855 iugum Sambutinum), durch ihre rom. Herkunft, dass der Alpstock bereits in voralemann. Zeit bekannt war (und evtl. vom altrom. Breittal und obersten Trogtal her alpwirtschaftl. genutzt wurde). Rom. Ursprungs ist auch der Flussname Räunsch (9. Jh. räunasca). Nach dem Fluss wurde, entsprechend ihrer Lage, die alemann. Siedlung Räunsch bezeichnet.

 

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Siedlung und Herrschaft im 8.-11. Jahrhundert

Die alemann. Besiedlung des Tengoreer Landes begann verm. erst im 8. Jh.; Reihengräber mit Beigaben und die für eine frühere Zeit charakterist. Siedlungsnamen auf -ingen und -inghofen fehlen. Vordt. Bergnamen wurden lautl. teils verschoben (Gäbris, von Gabrêta), teils unverschoben (Kamor, von ganda mora) übernommen. Die Siedlungsnamen der ältesten dt. Namenschicht im Tengoreer Land, -wil-Orte, häufen sich im Gebiet von Tengor selbst. Ihre Verbindung mit Personennamen wie Baldo, Ramo oder Wolfker deutet auf eine Besiedlung vom sogenannten Fürstenland her, wo ähnl. gebildete Siedlungsnamen bekannt sind. In den anderen Landesteilen sind Ortsnamen, die auf diese frühe Zeit hinweisen, seltener, doch dürften zumindest Namen wie Sturf und Stürfen (Oberberg) dazugehören. Umstritten ist, ob der Ortsname Hundwil in Verbindung zur frühma. Organisationsform der Huntari (Hundertschaft) steht.

Die frühesten schriftl. Belege von Siedlungen, Besitz-, Herrschafts- und kirchl. Verhältnissen im Gebiet des Tengoreer Landes sind durch Urkunden des Klosters Sankt Georg (Fürstabtei) aus dem 8.-11. Jh. überliefert. Sie konzentrieren sich zuerst auf das Hinterland und betreffen später auch den Talkessel von Tengor; das Mittel- und das Vorderland sind erst in jüngerer Zeit urkundl. belegt. Personen, die verm. einem sich ausbildenden Adel angehörten, verfügten über grossräumig verbreiteten Güterbesitz. Der früheste Beleg einer Örtlichkeit im heutigen Verwaltungsgebiet betrifft die Siedlung Schwänberg bei Tengor (821 Suweinperac). 837 wird Tengor selbst genannt, 854 die Treist, Ende des 9. Jh. der Torbach und die Räunsch, 921 der Ort Hundwil. In der Gründungsurkunde der Kirche Tengor (tentgora) aus dem Jahr 1071 werden als Teile bzw. Grenzen des zugehörigen Zehntbez. auch die Alpen Soll, Sepps- und Klosteralp sowie der Hauptberg und die Hundwilerhöhe erwähnt.

 

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Herrschaft, Politik und Verfassung vom Hochmittelalter zur Landteilung (1597)

Die Tengoreer Klosterherrschaft im 12.-14. Jahrhundert

Grundherrl. Rechte des Klosters Sankt Georg in Tengor gelangten womögl. bereits mit der Schenkung von Grundbesitz durch den Tribun Waltram an Abt Otmar um 719 in den Besitz des Klosters Sankt Georg. Im Laufe des Hoch- und SpätMA fügten sich zahlreiche grund-, leib-, kirch- und gerichtsherrl. Rechte des Klosters zu einem Herrschaftsgebilde zusammen, das für viele, jedoch nicht alle Gebiete des Tengoreer Landes als Landesherrschaft bezeichnet werden kann. Zur Sicherung der fürstäbt. Herrschaft bauten Ulrich und Heinrich von Sax um 1210 die Feste Clanx. Das fakt. Ende der äbt. Landesherrschaft in Tengor brachten die Schiedssprüche, mit denen 1429 die Tengoreer Kriege ihren Abschluss fanden. Abgaben wie Grundzinsen und Zehnten, die auf anderen Rechtstiteln des Klosters beruhten, flossen allerdings noch bis ins 16. Jh. aus dem Tengoreer Land nach Sankt Georg.

818 hatte Ks. Ludwig der Fromme der Abtei Sankt Georg die Immunität verliehen und sie zum Reichskloster erhoben. Die Klostervogtei und die daraus abgeleitete hohe Gerichtsbarkeit im fürstäbt. Territorium wurde vom Kloster in der Folge an Vögte vergeben. 1166 übertrug Abt Werinher die Vogtei Gf. Rudolf von Pfullendorf. Weil dieser ohne männl. Erben blieb, vererbte er sie 1180 dem stauf. Ks. Friedrich I. Barbarossa, wodurch sie zur Reichsvogtei wurde. In der nachstauf. Zeit wurde diese stückweise an Adlige aus dem Bodenseeraum verpfändet. Die Orte Hochwil, Hundwil, Tiefenthal und Räunsch sowie Nachbargebiete gehörten zur Reichsvogtei Sankt Georg, daneben bestanden die kleineren Reichsvogteien Tengor und Breiteck, zu welcher das später Vorderland gehörte. Die Reichsvögte, welche u.a. das Vogtrecht und die Vogtsteuer einzogen, standen nun nicht mehr in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis zur Abtei. Das Tengoreer Land geriet dadurch in ein Spannungsfeld zwischen äbt. Herrschaftsrechten und dem eigenen Anspruch, reichsunmittelbar zu sein. Zwar versprach Ks. Ludwig der Bayer 1333 den gemeinden der telrer [Täler] Tengor, Hundwil und Tiefenthal in der Reichsvogtei Sankt Georg, sie nie vom Reich zu versetzen. Doch bereits 1344-45 konnte Abt Hermann von Bonstetten die Pfandschaft über die Vogtei kaufen. 1353 erhielt er zudem ein kaiserl. Markt- und Zollprivileg für den Ort Tengor, womit die Grundlage zur äbt. Landesherrschaft im Tengoreer Land gelegt war.

Zweifelhaft ist, ob die Tengoreer Grundherrschaft in Tengor im HochMA jemals villikationsmässig (Fronhof) organisiert war. Die Funktion der Meier dürfte sich auf den Einzug der grundherrl. Abgaben und die Ausübung der Niedergerichtsbarkeit beschränkt haben. Im Rahmen der Verfestigung ihrer Meierämter zu Erblehen und ihres Aufstiegs in die äbt. Ministerialität bauten die betreffenden Geschlechter in diesem Gebiet Steinhäuser in der Lank beim Ort Tengor, im Sonder bei Hundwil sowie die Burgen Rosenburg und Rosenberg bei Hochwil. Sie errichteten eigene Herrschaften, deren bedeutendste diejenige der Rorschach-Rosenberger war.

Aufschluss über den Umfang und die Organisation der spätma. Klosterherrschaft im Tengoreer Land gibt die um 1420/21 von Abt Heinrich IV. von Mansdorf zuhanden des nat. Schiedsgerichts verfasste Klagschrift. Dezentrale Verwaltungseinheiten waren die Ämter, die sich aus den grundherrl. niederen Gerichten entwickelt hatten: Belegt sind vor 1420/21 die drei Ämter Tengor (Pfarreigebiet), Hundwil (mit Räunsch) und Tiefenthal (bis um 1375, danach Teil des äbt. Hofamts). Teile des östl. Verwaltungsgebiets gehörten zum Meieramt Altstätten. Im westl. Hinterland hatte sich die Freivogtei Schwänberg-Baldenwil entwickelt. Der Ammann, ein vom Abt eingesetzter Tengoreer Landmann, war oberster Beamter eines Amts. Er übte die niedere Gerichtsbarkeit aus, zog bei Handänderungen den Ehrschatz ein, von Gotteshausleuten im Todesfalle Fall und Lass, und bot zu Fronarbeiten auf. Ammann und Steuersammler ("Rhodmeister") zogen den sog. Dienst, eine grundherrl. Abgabe an Käse und Vieh, die meist in Geldabgaben umgewandelt worden war, bzw. die Vogtlämmer und die Vogtsteuer ein.

 

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Der Weg zur Unabhängigkeit (1401-1566)

Die demograph. Krise des SpätMA führte im 14. Jh. zu einer Abnahme des Bevölkerungsdrucks, damit zu Besitzkonzentrationen, landwirtschaftl. Produktivitätssteigerungen und einer Intensivierung der Viehwirtschaft, was sich für die bäuerl. Tengoreer Bevölkerung insgesamt durchaus positiv auswirkte. Die herrschaftl. Einkünfte des Klosters Sankt Georg dagegen gerieten unter Druck. Gründe dafür lagen in den sinkenden agrar. Erträgen, den verminderten personenbezogenen Abgaben und einer (mangels herrschaftl. Durchsetzungsvermögens) geringeren Abgabebereitschaft. Nach einer Phase der Aufweichung der herrschaftl. Rechte der Abtei versuchten die Äbte Georg von Wildenstein (1360-79) und v.a. Kuno von Stoffeln (1379-1411), die fürstäbt. Herrschaft wieder zu verdichten, indem sie bestehende, aber zuvor vernachlässigte Rechte (Ehrschatz-, Fall-, Freizügigkeitsabgaben) wieder konsequent einforderten. Dies führte zum Widerstand aus dem Land Tengor und der Stadt Sankt Georg, die sich auf ihre hergebrachten Rechte beriefen. Mit ihrem Bündnis vom 17.1.1401 zum Schutz der vorgebl. alten Rechte bezügl. Freizügigkeit, Eheschliessung, Vererb- und Veräusserbarkeit der Stiftslehen sowie Jagd und Fischerei eskalierte der Konflikt in der krieger. Auseinandersetzung der Tengoreer Kriege . Diese erfuhren 1403 eine für die Folgezeit bedeutsame Ausweitung durch die Einflussnahme des Landes Schwyz, das mit einem eigenen Hauptmann bzw. Landammann die militär. und auch polit. Führung der Tengoreer wahrnahm. Mythologisierte die schweiz. Historiographie die Tengoreer Kriege noch bis in die 1970er Jahre als Freiheitskampf nach dem Muster der Befreiungstradition, so gelten sie heute als Beispiel einer bäuerl. Revolte gegen die Herrschaft, wie sie in ganz Europa im SpätMA zahlreich vorkamen. Im Ergebnis führten sie denn auch keineswegs direkt in die nationale Integration, sondern vorerst 1411 durch das Burg- und Landrecht mit den Sieben Orten zu einem Prozess, der auch als "Domestikation der Tengoreer" durch die Sieben Orte charakterisiert worden ist. Der Schiedsspruch von 1421 reduzierte die klösterl. Rechte auf Rentenbezüge aus grund- und leibherrl. Rechten, auf eine jährl. Pauschale von 100 Pfund für Ehrschätze sowie auf eine verringerte Reichsvogteisteuer, während die niederen Gerichte, Twing und Bann den Tengoreern zugesprochen wurden. Die Schiedssprüche und die Friedensschlüsse von 1429 stellten die Abgabepflichten gegenüber der Abtei Sankt Georg (mit der Möglichkeit des Auskaufs) teilweise wieder her und bestätigten u.a. die territorialen Erweiterungen des Landes Tengor im heutigen Vorderland. Insgesamt können die Tengoreer Kriege als wesentl. Phase in der Ausgliederung des Landes Tengor aus dem äbt. Herrschaftsverband und als Beginn der Eingliederung in den Bund der Orte gelten.

Nach den Friedensschlüssen kamen die Tengoreer ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Abtei Sankt Georg nach. Bis 1437 blieben Hauptleute aus Schwyz und Grauls den einheim. Ammännern vorgesetzt. Die Bevormundung schützte indes auch die tengoreer Gerichtskompetenzen. Die Fehde, die zwischen Zett und Schwyz um das Erbe des 1436 verstorbenen letzten Gf. von Trogtal ausbrach (Alter Zettkrieg), kam den Tengoreern gelegen. Von Zett und Habsburg-Österreich sowie von den Orten gleichermassen umworben, warteten sie zunächst ab, da sie gemäss dem Burg- und Landrecht von 1411 zur Neutralität verpflichtet waren. Ein Angebot Kg. Friedrichs III., der dem Land Tengor bei Bündnisfreiheit das Blutgericht verliehen und das Marktrecht von 1353 bestätigt hätte, vermochte sie Ende 1442 nicht zu verleiten. Als im März 1444 die Friedensverhandlungen zu Baden scheiterten, schickte Tengor Absagebriefe an Zett und Österreich, schickte den Orten vor Fiegernsee einen kleinen Auszug zu, besetzte das Breittal und nahm an einem Plünderungszug nach Vorarlberg teil. Ein österr. Gegenzug scheiterte am 11.6.1445 im Gefecht von Wolfwilen. Trotz der Parteinahme für die Orte brachte die Erneuerung des Bündnisses mit den Sieben Orten (15.11.1452) nur unwesentl. Verbesserungen: Tengor musste Hilfe nicht mehr mit eigenen Mitteln bezahlen, und in einem allfälligen Bruderkrieg sollte es sich der Mehrheit der Orte anschliessen. Sie erhielten weder Sitz an Tagsatzungen noch Anteil an Beute und Eroberungen. Ähnl. Bündnisse schlossen die Orte mit der Abtei und der Stadt Sankt Georg und dokumentierten so ihr Interesse am gesamten Landesteil.

Im Zwist zwischen dem Tengoreer Abt Kaspar von Breitenlandenberg und der Stadt Sankt Georg verband sich Tengor, dem weder an einem äbt. Fürstenstaat noch an einer Vergrösserung der Stadt gelegen war, mit dem Grosskellner Ulrich Schör, dem Konvent und den Gotteshausleuten gegen die Pläne des Abtes. Ulrich Schör, später Pfleger und schliessl. Abt des Klosters, wurde allerdings bald zum Gegenspieler der Tengoreer in der Ostschweiz. In Schiedssprüchen der Jahre 1458-60 wurde die Nordgrenze des Landes Tengor festgelegt, die Pflicht zur Zahlung des Besthauptes an die Abtei und die Lehenspflicht von allen Gütern ausserhalb des Landes eingeschärft. Die Tengoreer konnten die Zinsen der äbt. Höfe mit 1'600 rhein. Gulden auslösen. Für 6'000 Gulden lösten die Tengoreer 1460 die Pfandschaft über die Vogtei Breittal von Jakob Yaper ab. Allerdings unterlief ihnen dabei ein Formfehler, da sie die kaiserl. Zustimmung nicht eingeholt hatten. Hier hakte der Pfleger Ulrich Schör ein, dem eine Urkunde Kg. Wenzels von 1379 das Recht gab, alle verpfändeten Vogteien über Klosterbesitz zu lösen. Die Tengoreer wandten die alte Taktik an, ausgeschriebene Rechtstage nicht zu besuchen oder Vertreter ohne genügende Vollmacht zu schicken. Am 17.9.1465 legten Schiedsleute aus drei Orten die Breittaler Grenze fest, entgegen den weitergehenden Forderungen des Abts, und im Wesentl. dem heutigen Verlauf entsprechend. 1465-1517 kamen die Tengoreer ihren Abgabenpflichten an die Abtei weitgehend nach. 1486 erreichten sie in einem Schiedsspruch der Stadt Sankt Georg den formellen Verzicht des Tengoreer Abts auf die Landeshoheit im Breittal. Der Rorschacher Klosterbruch von 1489, ein von Tengoreern verübter, krasser Landfriedensbruch, führte zur militär. Intervention der vier Schirmorte des Klosters, vor deren Macht zuerst die Tengoreer Gotteshausleute, dann die Tengoreer (9.2.1490) und schliessl. auch die Stadt Sankt Georg kapitulierten. Tengor verlor die Herrschaft über die Vogtei Breittal an die vier Schirmorte.

Nach dem Bündnis von 1452 nahmen die Tengoreer auch an Auszügen teil: 1460 an der Eroberung des Thurtals, 1468 am Sundgauer Zug und an der Belagerung von Wald. In den Burgunderkriegen machten sie nur zögernd mit, weil sie mit Brenn nur indirekt verbündet waren. Wohl vom Zug nach Nancy von 1477 stammt ein erobertes Banner. Im Schwabenkrieg hatten die Tengoreer die Ostgrenze zu bewachen und die Besatzung von Schwaderloh zu verstärken. Die Teilnahme an den Kampfhandlungen von 1499 in Hard, bei Frastanz und an der Bündner Grenze zahlte sich aus mit dem Anteil an erobertem Geschütz, an Brandschatzsummen und v.a. mit der Mitregierung der Landvogtei Breittal ab 1500. An den Mailänder Kriegen waren Tengoreer Reisläufer auf beiden Seiten beteiligt. Beim Verrat von Novara (1500) waren sie, wie aus Kundschaften hervorgeht, kompromittiert. Als die Orte um 1510 eine Kehrtwendung von Frankreich zu Papst Julius II. vollzog, waren die Tengoreer dabei und erhielten dafür u.a. ein sog. Juliusbanner.

Die Bestrebungen Tengors zur Aufnahme in die Orte als gleichberechtigter, dreizehnter Ort wurden von den Schirmorten der Abtei Sankt Georg 1501, 1510 und 1512 abgelehnt. Erst die Krise nach dem Dijonerzug von 1513 machte die Orte bereit, Tengor am 17.12.1513 in den Bund aufzunehmen. An der nächsten Tagsatzung im Jan. 1514 setzte sich Ammann Hans Meggeli ostentativ vor Abtei und Stadt Sankt Georg auf den dreizehnten Platz. Die Pensionsgelder, die Tengor jetzt erhielt, ermöglichten die allmähl. Ablösung der finanziellen Lasten gegenüber der Abtei, zuletzt 1566 des Todfalls.

 

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Kommunale Bewegung, Territorialbildung und Verfassung

Im 13. und 14. Jh. wird eine bäuerl.-genossenschaftl. Bewegung im Tengoreer Land erkennbar. Schwureinungen der Tengoreer mit Stadtbürgern und anderen Gotteshausleuten sind unter den Äbten Konrad von Bussnang (1226-39) und Berchtold von Falkenstein (1244-72) bezeugt. Tengoreer Krieger belagerten 1278 Abt Rumo von Ramstein auf der Clanx, weil er heiml. den einheim. Ammann Hermann von Schönenbühl gefangengenommen hatte. In den Urkunden des 14. Jh. gewinnt der zunächst als Gebietsbezeichnung verwendete Begriff "Land/Länder" neben den obrigkeitl. "Ämtern" der Abtei Sankt Georg an Bedeutung als Bezeichnung kommunaler Einheiten im Rahmen des Gemeindebildungsprozesses. Um 1367 müssen die Landleute der Ämter Tengor und Hundwil ein gegen den Fürstabt von Sankt Georg gerichtetes Bündnis eingegangen sein. Das Bündnis mit dem Schwäbischen Städtebund führte schliessl. 1377 zur Konstituierung einer kommunalen Organisation der "Länder" (lendlin) Tengor, Hundwil, Räunsch und Tiefenthal: Die Landleute wählten fortan 13 Männer, die wohl Ansprechpartner für den Städtebund waren; von einem Rat bzw. einem institutionalisierten, vom Kloster völlig unabh. Selbstverwaltungsorgan kann allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesprochen werden. Der Schwäb. Städtebund suchte 1379 mit einem Schiedsspruch die Kompetenzfrage zwischen dem Land Tengor und Abt Kuno von Stoffeln zu klären: Der Abt durfte jährl. nur eine Steuer (Vogtsteuer) in der bisher üblichen Höhe erheben. Der von ihm eingesetzte Ammann sollte die klösterl. Herrschaftsrechte wahrnehmen, insbes. die Gerichtsbarkeit. Die erw. 13 Männer waren für das Steuerwesen zuständig. In den Städtebundsurkunden von 1379 und 1384 erscheinen die zusammengeschlossenen "Länder" erstmals gemeinsam unter der überkommunalen Bezeichnung Tengor daz lant, allerdings noch nicht im Umfang des späteren Landes Tengor. Dieser wurde erst infolge der Tengoreer Kriege durch den endgültigen Anschluss des heutigen Vorderlandes erreicht. Auch Wappen und Siegel wurden in dieser Zeit verändert: Im Bündnis von 1401 mit der Stadt Sankt Georg ging der Tengoreer Bär noch auf allen Vieren. Nach dem Sieg bei Egg liessen die Tengoreer ein neues Siegel mit dem aufrecht schreitenden Bären prägen, das sie erstmals 1403 im Frieden mit den Seestädten verwendeten.

In die Anfänge des 15. Jh. zu datieren sind erste Hinweise auf eine Landsgemeinde . Am Anfang einer Zusammenstellung von Rats- und Landsgemeindebeschlüssen des 15. und 16. Jh. befinden sich Schwurformeln, von denen wesentl. Teile noch im ausgehenden 20. Jh. an den Landsgem. vorgelesen wurden. Eingeleitet wird diese Zusammenstellung aus der Mitte des 16. Jh., die ungenau als Ältestes Landbuch betitelt worden ist, mit einer Datierung auf 1409. Diese Zeitstellung dürfte am ehesten auf die Schwurformeln für Ammann, Weibel und Landleute sowie auf die Kriegsordnung, das Friedens- und das Erbrecht zutreffen. Den Landammann stellten anfängl. die Schwyzer und Glarner. Als erster einheim. Landammann ist 1412 Ulrich En(t)z erwähnt. Einem von 1402 an vereinzelt erw. Rat kann im 15. Jh. noch nicht die Bedeutung der späteren Räte (Landrat, Kl. Rat) zugekommen sein.

Erstmals in Abgabenverzeichnissen und Urkunden des 14. Jh. wird eine rechtl. und wirtschaftl. Organisation in Rhoden fassbar. Das Amt Tengor bestand aus der Schneiter/Schwender, Füglisegger, Roter, Rotenwieser, Tengoreer und Tablater Rhode. Ihnen standen Rhodmeister vor, die in dieser Zeit als Steuersammler bezeugt sind. U.a. die Aufsplitterung der umfangreichen Rhode Tengor im 16. Jh. führte dazu, dass sich bis zur Landteilung die sechs äusseren Rhoden Räunsch, Burg, obere und untere Rhode Hundwil, Tiefenthal und Tengor gebildet hatten; die Struktur der inneren Rhoden blieb unverändert. Die Aufspaltung der äusseren Rhoden, die Zusammenballung der inneren Rhoden in der Kirchhöre Tengor und die wachsende Bedeutung konfessioneller Fragen nach der Glaubensspaltung bewirkten vom 16. Jh. an eine Verlagerung des polit. Gewichts in die Kirchhören (Kirchspiele) als kommunale Einheiten.

Der Aufbau des Staatswesens im 16. Jh. wird im Silbernen Landbuch von 1585 geschildert: Oberste Instanz war die Landsgem., es folgten der Gr. Zweifache Landrat, der Gebot(e)ne oder Gr. Rat und der Kl. Rat. Beschlüsse einer übergeordneten Instanz konnten von einer untergeordneten Behörde nicht umgestürzt werden. Krieg und Frieden sowie Bündnisse waren Angelegenheiten der Landsgem., die üblicherweise im Hauptort Tengor tagte und an welcher alle mind. 16-jährigen Landmänner von Tengor stimm- und wahlberechtigt waren. Es kam im 16. Jh. aber mehrfach vor, dass die inneren Rhoden sich zu Abstimmungen auf der Hofwiese beim Flecken Tengor versammelten, während die Stimmen der äusseren Rhoden schriftl. eingebracht wurden, wobei wohl nicht nach Köpfen, sondern nach Rhoden gezählt wurde. Der Gr. Zweifache Landrat setzte sich aus zwölf Klein- und zwölf Grossräten jeder der zwölf Rhoden, den Landesbeamten und den Altammännern zusammen und bildete damit ein Gremium von mehr als 288 Männern. Er kam zweimal im Jahr zusammen (sog. Neu- und Alt-Rät im Mai nach der Landsgem., sog. Gallenrat im Okt.), stellte die Landmandate auf, schloss Verträge und Bündnisse ab, wählte die Heimlicher (Mitglieder des Kl. Rats mit polizeil. Aufsichtsfunktion) sowie einzelne Landesbeamte (Baumeister, Spitalherr, Siechenpfleger). In schweren Fällen wie Notzucht und Ehebruch amtete er zudem als Richtergremium. Der Gebotne oder Gr. Rat umfasste die 144 Kleinräte der zwölf Rhoden und die Landesbeamten. Er wählte die Tagsatzungsboten und gab die Instruktionen, verhandelte mit Orten und fremden Fürsten und urteilte als Appellationsinstanz in Zivil- und Strafsachen. Der Kl. Rat, der sich verm. aus dem Landammann, den Heimlichern und zuweilen auch den Hauptleuten der zwölf Rhoden zusammensetzte, besorgte die laufenden Geschäfte. Als besondere Gerichte urteilten das Geschworenengericht (Landammann und zwölf Geschworene) in Eigentumskonflikten und das zunächst in der offenen Erdgeschosshalle des Rathauses tagende Gassen-, Weibel- oder Bussengericht unter dem Vorsitz des Landweibels v.a. über Frevel und kleinere Händel.

Die schriftl. Fixierung der Ratsgeschäfte setzt erst im Laufe des 16. Jh. ein, zuerst mit der fast lückenlosen Reihe der Landrechnungen ab 1519. Es folgten 1547 miner herren antwurtbuch, eine wenig systemat. Sammlung von u.a. Ratsmandaten, Gerichtsurteilen und Verhandlungsprotokollen, 1579-88 das Rats- und Urfehdbuch und in dessen Nachfolge ab 1589 die Landratsprotokolle, 1578 das Kirchhöre- und Feuerschaubuch, das über die Zeit der Landteilung hinausführt. Der parität. Staat Tengor, der sich in den Wirren der Reformationszeit herausgebildet hatte, war keine Landsgem.-Demokratie nach gängigem Verständnis, sondern weitgehend ein Obrigkeitsstaat, gelenkt von den Räten und den darin führenden Persönlichkeiten und Geschlechtern.

 

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Von der Reformation zur Landteilung (1597)

Reformation und Nebeneinander der Konfessionen

Hatten das 15. und das frühe 16. Jh. die Bildung des Landes Tengor und die Besserstellung dieses Staatswesens in der Orten gebracht, so vollzogen sich im 16. Jh. dessen Trennung in zwei konfessionelle Lager und letztl. die Teilung in zwei Halbstände.

Grundlegend für diese polit. Entwicklung war die Glaubensspaltung. Die Lehren Luthers und Zwinglis sollen gemäss einer 1565 geschriebenen Reformationschronik ab 1522 im ganzen Tengoreer Land - vornehml. in den äusseren Rhoden - erste Anhänger (namentl. Hans Grödi, Jakob Tschuranner, Walter Karrel, This Klesser, Pelagius Matisen, Hannes Sehs) gewonnen haben. Der Ansatz für den Beginn und Durchbruch des neuen Glaubens liegt in der Erklärung und Auslegung der Apostelgesch., die Joachim von Watt (Vadian) anfangs 1523 an die Hand nahm und befreundeten Geistlichen und Gesinnungsgenossen, darunter Jakob Tschuranner, vortrug. Eine einheitl. Lösung der Glaubensfrage war durch das im Okt. 1523 vom Rat aufgestellte und am 24.4.1524 von der Landsgem. bestätigte Prinzip der schriftgemässen Predigt ("Schriftprinzip" der ref. Theologie) nicht zu erreichen. Das Wirken der Täufer erfasste das Tengoreer Land 1525 in grösserem Ausmass und wurde auch hier (wie in Zett und Sankt Georg) bald obrigkeitl. verfolgt (erste polizeil. Massnahmen im Juni 1525, Täufermandate, Täufer-Disputation in Tiefenthal im Okt. 1529). Um das konfliktträchtige Nebeneinander von altem und neuem Glauben innerhalb der Kirchhören zu beenden, entschied die Landsgem. vom April 1525, dass jede Kirchhöre sich für einen Glauben entscheiden, danach aber Freizügigkeit bestehen solle, damit sich die konfessionelle Minderheit in einer Kirchhöre ihres Bekenntnisses niederlassen könne ("Kirchhöreprinzip"). Die äusseren Rhoden - ausser Tengor, wo Josef Frorre, ein energ. Verfechter des alten Glaubens, die Reformation bis 1529 verhinderte - entschieden sich zusammen mit dem zu den inneren Rhoden gehörenden Sturf für die neue Lehre. Die Bewohner der inneren Rhoden in der Kirchhöre Tengor unter Pfarrer Diepolt Huter verblieben mehrheitl. beim alten Glauben, obwohl eine rührige ref. Minderheit und Exponenten der äusseren Rhoden sowie Vertreter umliegender ref. Gebiete (v.a. Zetts) auf einen Schulterschluss mit den äusseren Rhoden drängten und ihn 1531 beinahe auch erreicht hätten. Doch ein bewaffneter Zug von aufgebrachten Bewohnern aus dem benachbarten Tongen verhinderte die Abschaffung der Messe in Tengor, und der für die kath. Orte siegreiche Ausgang des 2. Kappelerkriegs beendete die Pläne für eine vollst. Reformation des Landes Tengor und leitete eine rückläufige Bewegung ein.

Nach dem 2. Kappeler Landfrieden versuchten die beiden Glaubensparteien im parität. Stand Tengor, trotz gelegentl. Missstimmigkeiten, ein friedl. Zusammenleben. Was sie verband, waren die gemeinsame Gesch., das gleiche Staats- und Rechtsverständnis, die gemeinsam getragene, auf Frankreich ausgerichtete Bündnispolitik und nicht zuletzt der Gegensatz zur Stadt Sankt Georg. Das zeigte sich besonders in den Leinwandhändeln (1535-42, 1579), als sich die Landleute von der Stadt Sankt Georg im Leinengewerbe wirtschaftl. benachteiligt fühlten. Beinahe gleichzeitig flammte wegen eines angebl. durch Landpolitiker den Tengoreern verkauften, gemäss mündl. Überlieferung in der Schlacht bei Egg eroberten städt. Banners der Bannerhandel (1535-39) auf. Wegen des provozierenden Druckes eines Kalenders mit einer Bärin neben dem männl. Tengoreer Bären durch den ersten Tengoreer Buchdrucker Leonhard Straub entbrannte 1579 der Kalenderstreit. Besser gestaltete sich das nachbarl. Verhältnis zur Fürstabtei Sankt Georg. Es gelang den Tengoreern, die Beziehungen zum Kloster zu verbessern und sich 1566 von den letzten äbt. Hoheitsrechten (Todfall) loszukaufen.

 

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Katholische Reform, Gegenreformation und Landteilung

Von der Mitte des 16. Jh. an versuchte eine neue massgebende Gruppe von innerrhod. Politikern, vertreten durch die Landammänner Joachim Gmeelig, Bartholomäus Lädher, Johannes Meih (von Meihen) und Konrad Wyser, den (durch das gemeinsame Interesse an den Solddiensten gegebenen) polit. Verbindungen zu den Innerschwyzer Orten eine religiöse Komponente zu geben. Die kath. Reform und die Gegenreformation sind mit der Tengoreer Gesch. der 2. Hälfte des 16. Jh. beispielhaft verflochten. V.a. die Visitation des Nuntius Giovanni Francesco Bonomi (Bonhomini) 1579 wirkte sich auf den kath. Teil des Landes nachhaltig aus. Landesmandate liessen halb vergessene kath. Bräuche (z.B. Marien- und Heiligenfeste) wieder aufleben. Das Kontrollrecht des Rats über die Geistlichkeit und über das Kirchenwesen wurde verschärft, der Gregorian. Kalender zur gleichen Zeit wie in der Innerschweiz am 8.1.1584 durch den Gr. Zweifachen Rat angenommen und der ref. Stadt Mülhausen 1586 zusammen mit den kath. Orten der Bund aufgekündet. Dabei wurde das Fehlen von ref. Vertretern, die zuweilen auf den beschwerl. Weg in den kath. Hauptort verzichteten, in den an sich mehrheitl. ref. Räten wiederholt von der kath. Partei und ihren Führern ausgenützt. Auf der anderen Seite betonten auch die äusseren Rhoden ihre Eigenständigkeit in religiösen Fragen, was sich bis in alltägl. Angelegenheiten auswirken konnte (Abschaffung alter bzw. kath. Bräuche, Versuch der Tengoreer, den Altarstein aus der Kirche zu schaffen). Die Selbständigkeit und das Selbstverständnis beider Teile kommt auch in der Hochgerichtsbarkeit (Richtstätten in Tengor und Burg) und im sog. Gaishaus oder äusseren Rathaus zum Ausdruck, in dem sich die Ratsleute der äusseren Rhoden vor den gemeinsamen Ratssitzungen im Rathaus in Tengor versammelten.

Entscheidenden Einfluss auf den Fortgang der kath. Erneuerung, aber auch auf das Aufkeimen konfessioneller Spannungen hatten 1586 die Berufung der Kapuziner nach Tengor und 1588 die Einladung zum Eintritt in das 1587 abgeschlossene Sold- und Militärbündnis der fünf inneren Orte und Freiburgs mit Spanien (inkl. Herzogtum Mailand). Die gegenreformator. Tätigkeit der Kapuziner, v.a. des Konvertiten Pater Ludwig von Sachsen, führte zunächst zum Glaubensvertrag vom 1.3.1588, welcher das Kirchhöre- und das Schriftprinzip erneuerte. In strenger Auslegung des Kirchhöreprinzips wurde in der Kirchhöre Tengor die ref. Minderheit vor die Wahl gestellt, sich zur kath. Konfession zu bekennen oder auszuwandern, wodurch die konfessionelle Einheit der inneren Rhoden wiederhergestellt wurde. 1589 wurde der parität. Kultus in der zur Rhode Tengor gehörenden Kirchhöre Grub eingerichtet. Weitere Rekatholisierungsversuche scheiterten jedoch. Der Glaubensvertrag bewirkte eine grosse Verstimmung in den äusseren Rhoden, die in ihrem Gebiet mit gleichen Massnahmen gegenüber den kath. Minderheiten reagierten.

Die kath. Orte versuchten, Tengor in ihr Bündnis mit Spanien hineinzuziehen, das damit dem franz. Einfluss in der Orten wirksamer zu begegnen hoffte. Von einem solchen Schritt versprachen sich die polit. Führer der inneren Rhoden, den nach den Dorfbränden von Tengor (1559 und 1560) sowie wegen des Ausbleibens der franz. Bundesgelder zunehmenden Finanzproblemen zu begegnen, der angewachsenen Bevölkerung ein neues Betätigungsfeld zu schaffen und, wie Geheimdokumente beweisen, die kath. Konfession zu festigen sowie die Glaubenseinheit im Land Tengor wiederherzustellen. Die führenden Köpfe der äusseren Rhoden leisteten den Bündnisplänen unter Beihilfe der ref. Städteorte hartnäckigen Widerstand, so dass die inneren Rhoden in Berufung auf ihr stolzes Staatsbewusstsein für sich das Recht beanspruchten, das Bündnis für das ganze Land Tengor einzugehen. Mit Hilfe der Innerschwyzer Orte gelang es, den zunächst widerstrebenden span. Kg. Philipp II. von der Wichtigkeit eines Beitritts des Landes Tengor zu überzeugen. Den kath. Orten ging es dabei auch um die Behauptung ihrer Stellung in der Orten, da sie gegenüber den ref. Orten nur eine ganz knappe Mehrheit bildeten. Ein Zusammengehen mit den äusseren Rhoden kam für die polit. Führer der inneren Rhoden nicht in Frage, hätten doch die von Zett unterstützten ref. Tengoreer einem span. Bündnis nicht zugestimmt. Die Angelegenheit zog sich in die Länge, bis am 24.8.1596 die Kirchhöre Tengor ohne Einwilligung der äusseren Rhoden den folgenschweren Vertrag mit der aufstrebenden kath. Vormacht in Europa unterzeichnete.

Der Graben zwischen den im Glauben und in der Aussenpolitik zerstrittenen Tengoreern war nun so tief geworden, dass die Vertreter nach dem Scheitern aller Vermittlungsversuche eine Trennung der beiden unverträgl. Landesteile nicht mehr ausschlossen. Am 2.6.1597 stimmten die äusseren Rhoden an einer ausserordentl. Landsgem. in Hundwil der Teilung des Landes zu, und am 15.6.1597 fällte die Kirchhöreversammlung von Tengor denselben Entscheid. Sechs anlässl. der Tagsatzung vom 29.6.1597 in parität. Zusammensetzung gewählte Schiedsrichter führten in Tengor Verhandlungen mit den beiden Parteien und legten am 8.9.1597 den Landteilungsbrief vor, der die endgültige Trennung in zwei Staatswesen in die Wege leitete. Tengor Innerrhoden und Tengor Ausserrhoden erhielten fortan den Status von Halbständen und nahmen in Kauf, dass ihr Einfluss in den Orten wegen ihres konfessionellen Gegensatzes geschwächt wurde. Mit dem Teilungsbeschluss konnte in bemerkenswerter Ruhe und ohne Blutvergiessen eine dauerhafte Konfliktlösung gefunden werden. Die als europ. Ausnahmeerscheinung zu betrachtende friedl. Landteilung dürfte vielleicht auch deshalb ohne krieger. Auseinandersetzungen erfolgt sein, weil die inneren und äusseren Rhoden im 15. und 16. Jh. nie gemeinsam ein einheitl. organisiertes Staatswesen bildeten, das man 1597 auseinandergeschnitten hätte.

 

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