Dokumente zur Geschichte Tyngörs seit 1699/B. Deduktionen/1. Dokumente/1.2 Miscellanea/...

 

P. Clemente Capucino: Beschreibung der Pannonischen Gebirgen um St.Giren

 

[Vorbemerkung]

Angeregt vom Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733), der für sein Werk «stoicheiographia, orographia et oreographia» (1716 bis 1718) Gebirgsbeschreibungen sammelte, verfasste der Kapuziner-Pater Clemens Geiger in Tyngör 1706 eine Beschreibung des Alpstocks. Es handelt sich bei dieser Beschreibung um die erste nicht auf fremde Vorlagen zurückgehende oder ungenaue Nachricht, sondern, mindestens zum Teil, um eine auf eigener Beobachtung und Landeskenntnis beruhenden Darstellung.
Der Originaltext wurde erstmals abgedruckt bei Stefan Sonderegger, 1967.

 

[Originaltext]

Disere Alpgebirg Situations halben ligen gegen Aufgang und Mittag/ und ist das Land St.Girens gleichsam als mit einem dreyfachen Bollwerk mit Wassergräben/ Schanzen von Bergen/ Alpen/ lustige Seen/ schönen ebnen Thäleren umgeben und verwahrt/ in dem das eusserste Bollwerk von den höchsten Bergen Grenz- und Scheidberg sind gegen dem Rheintal/ Gams/ Oberriet/ Sax/ Wildhauss/ Toggenburg. Die Scheidberg gegen Rheintal und Oberried werden folglich genent. Gegen Sonnen Aufgang Fähneren/ auf welchem hohen Berg sich befindt ein mit Sturz schön beschlagnes Kreuz wider das Wetter/ in beysein Geistlicher- und Weltlicher Oberkeit auf einen etzliche Klafter hohen starken Baum aufgesetzt. Aldorten ist ein wunderschöner Prospect gegen Schwaben/ Lindau/ Bregenz/ Constanz/ Boden-See und nechst gelegnen Orth. Gegen dem Rheintal hinunder ist ein schöne Alp/ in welchem saubere Wetzstein/ wie auch präparierte Stein zufinden; von dannen hinüber ziehet sich die Alp und Berg Kamohr den Oberriederen und Rheintaleren zuständig/ auf dieser Alp zeigt sich ein Wetterloch/ wann man einen Stein hineinfellt/ so fallt er tieff hinunder und macht ein gross Getümmel/ dergleichen mit erstaunen anzuhören/ deme folget dicker Dampf und Nebel/ aus welchem ein erschrockliches Wetter von Donnern/ Haglen und Blitzen entsteht/ so das man meint der Berg samt dem was darauf müsse under übersich gehen/ wesswegen die Viehhirten (Sennen genant) nicht zulassen etwas in solches zu werffen. An diesen Berg stosst der Berg Wand (innert welchen vor Zeiten sollen Dracken gewesen sein;) auf diesen der Kasten (weil er gleich einem grossen Kasten gestaltet/) nach solchem komt Stauberen/ welcher so genent wird/ weilen der Fön- oder Sonderwind erstens auf diesen Berg durch bewegung des Schnees und Staubens sich sehen lasst. Disem liegt nechst Sollwis/ auf welchem gross Hölen und Kruften/ in welchem sich die Gems als in einem Stahl aufhalten nebent anderen Hochwild Geflügel und Urhanen/ Barnissen/ Schneehühner/ Schneegäns und dergleichen. Er wird nur von Schaaffen genutzet. Diesem nahet sich Furgglen/ Stiffel und Rosslen/ so mit viel 100. Stuk allerhand Vieh besezt wird. Auf diesem Berg ist ein zimliches Seeli mit grossen Forellen fruchtbar; In diesem Berg werden allerhand Kräuter gefunden/ wie auch Jochgeiren in solcher Grösse/ dass sie ganze Schaaf in die Luft und höhe des Bergs zu einem Raub mit sich führen. Durch diesem Berg ist Sommerszeit auch ein Pass vom Oberland auf St.Giren bey 2. Stund näher als durch den Hirschensprung/ darbey aber was gefahrlich. An diesen stosset der Alte Mann und Silberblatten/ weilen diese mit Schnee meistens bedekt/ gleich als wann sie mit grauen Haaren bedekt weren/ und sind Grenzberg gegen Gams und Toggenburg; man muss auch von einem zum anderen über ein unergründtliches Praecipitium oder Kruftspaltung/ welches einem zum Schrecken verursacht. Am Fuss dieser Bergen befindt sich ein schön lustiges Thal Embtis/ und theilt sich in das fordere und hindere/ dieses wird von den Rheintalern und jenes von den Girern besezt. Es findend sich daselbst Wurzen/ deren die einte gleich einer Nuss formirt und ganz goldgelb an Farb Erdnussen genant/ die andere Weisswurz/ siehet aus wie ein schneeweisses Gebiss von Zähnen/ ordentlich abgetheilt als die Zähn/ in diesem Thal fliesst in einem ziemlich grossen See auf welchem ein Flotz/ angefüllt mit Forellen; Fröschen werden zu Frühlingszeit in der Menge gefangen. Sein Auslauff geschicht durch einen grossen Berg/ unter welchem Berg der See sol noch grösser sein/treibt entlich eine Mülle im Oberland. Von dem See ziehet sich hinaufwerts ein Tobel (Giren Tobel genant) in welchem unterschiedliche Alpen/ auch 2. oder 3. Luftlöcher/ aus welchen man kann das gute und böse Wetter erwegen. In diesen lasst sich hören zun Zeiten ein Gespenst/ welches über die Massen lieblich/ artlich/ lustig und curieus von allen ersinnlichen Tänzen aufspielt gleich als auf einer Brige/ allein macht es niemahlen ein Stückli völlig aus/ sondern fangt alsobald ein anderes an. Es hat auch schin fürwitzige Zuhörer in Gefahr ihres Lebens gebracht. In diesem Orth sol auf ein Zeit ein Mann einen Carfunkel gefunden haben einer Faust gross/ weilen er aber vermeint wegen schein des Nachts/ es seye was nicht rechtes/ hat er ihn hinweg geworffen. Er seye auch öfters wieder gesehen worden des Nachts/ man könne ihn aber nicht mehr ertappen. Diss Tobel auch mit einem Bach von Forellen/ tragt allerhand Kräuter. Auf der anderen Seite erhebtet sich ein Berg Alpsigleten/ ist ganz eben und geht viel Vieh darauf/ allein hat es darauf kein gut Wasser/ weilen wegen Mangel eines Brunnens Teich oder Samler müssen aus Regen und Schnee gemacht werdne das Vieh darmit zutränken; es geschicht auch da auss abgang dessen selbes bis ins Embtis hinunder zu führen zum tränken genöthiget wird/ welches ein Wunder/ da doch in allen Alpen/ Bergen/ Güter und Matten lauter laufende Brünnen sind. Diesem hangt an der Berg Marwäss/ auf welchem viel 100.stuk Schaaf lauffen/ ist auch an einem Ort durchbrochen als wie ein Fenster/ in mitten diesen 2. Bergen sind die Alpberg Steinbrand genant/ weilen vor Zeiten ein grosse Brunst dorten gewesen/ und ein grosser Wald verbrennt/ dass die hitzige Stein auss Hitz zersprungen/ ja ganz feurige Dannestuk bis ins Dorf St.Giren geworffen und schier angezündet hetten. Dessgleichen Manss/ auf welchen ein gewüsses Kraut/ von welchen/ wann die Menschen oder Vieh essen/ nicht mehr frieren. Diesem folget Gloggeren/ auf diesem Berg sind sehr viele Feuerstein/ hat ein Gestalt wie ein in 3. Ordnungen abgetheilte Orglen. An diesen hengt sich an die Rennen ein schmalen 2. und 3. Schuh breiter Weg/ nach der Hochalp/ Meglisalp/ ein Gemeinalp/ wie der Bergstein für die Landbauren kann jeder Vieh darauf nach belieben tun. Von diesem Weg hinunder sihet man den hart an den Felsen ligenden unergründtlich tieffen Seealpen-See/ welcher den Menschen und Vieh grosse Forcht einjagt/ wann sie diesen Weg machen. In dieser Meglkisalp sind viele Murmelthierlein/ zugleich blast ein lieblicher Luft alldort/ welcher sehr annehmlich und gesund; Es sind auch allerhand Kräuter daselbsten. Gegen Nidergang stosst an diesen Berg der Hoch- und Nider-Messmer (ein gemeine Alp/) sind viel Gäms daselbsten; in diesem Berg wachst auch Crystal/ Agstein/ sind auch allerhand Mutter von Edelgesteinen nebent anderen Steinen unterschiedenlicher Farben/ nicht weniger kostliche Kräuter/ welcher auch sonderlich nebent anderen Gebirgen besucht wird von Ausländischen Kräutleren und Wurzelgraberen. Unden an diesen ist lieblich ebenes Thal Seealp nebent welchem der obgedachte Seealpen-See liget/ reich von Fischen/ Forellen bey 10. Pfunden schwer/ man sagt gesehen zu haben in grösse eines Sagholz/ er sei bis dato der Tieffe nach unergründtlich in einem schönen Felsen/ sein Auslauff nimt er unter dem Boden und Felsen ein zimliches Stuk/ wie selbst gesehen habe; Fliesst das Thal hindurch zwüschent obgemeldten Bergen und auf ander Seiten zwüschent Alt-Alp/Wessen bis an das wunderschöne Thal Auwen genant/ und endtlich nach Schwendi/ allwo sich noch ein Wasser ausgiesst aus einem Felsen in der mitte/ so sein Auslauff und Herlauff sol haben von den 2. oder mehr Stund entspringenden Brunnen auf dem Kronberg under den Bergen hindurch/ wie an seinem Orth sol angezeiget werden. Dieser Schwendibach ist so Fischreich/ das man ins gemeim sagt/ wenn man ihne 2. oder 3. Jahr nicht fischete/ wurde man wegen viele der Fischen nicht können Wasser schöpfen/ so dass das gemeine Sprüchwort bey uns/ die Fisch seien im Schwendi daheimen; oderhalb dieses Thals befindt sich die Wunderkruft des H. Ertz-Engel Michaelis (ins gemein die wilde Kirch genant/) wegen des wilden Passes und gefahrlichen Weges/ zu dieser Kirchen oder Höle/ inmassen man durch ein 5. gemein Schuh breiten Weg nebent einem grausamen Praecipitio zu dieser Kruft gehen müsse auf einem Stägli von 2. Balzen und einer Bruggen von einem Felsen zu dem anderen/ von welcher man directè in die Tieffe hinunder siht/ auch öfters geschicht, das einige wegen Schwindel auf Knien diesen bösen Weg kriechen/ andere lassen sich hinderruks führen und heben; wann man über die letste Brugg kommen/ ist nichts mehr gefahrlich/ sondern ist ein feine Ebne in das Gärtlein; die Kruft ist einer grossen Weite und zimlichen Höhe; halt auch in sich ein Altar/ Sacristey/ Thürnlein/ Glögglein; Es ist auch ein Brunnen/ dessen Wasser von der höhe der Kruft hinab gleich als ein Thauregen komt/ woher es aber weiters herfliesst/ ist es unergründtlich; das Wasser hat ein Geruch wie Dinten oder Büchsenpulver/ ganz gesund/ lieblich/ sauber und kühl zu trinken; von dannen komt man durch die Felsen gleich einem engen Chor/ unter welchem man sich muss bucken in eine andere Höle zukommen/ in welcher gleichfahls ein Brunnen/ auch dasiger Eremit sein Holz behalt/ zugleich ein Häuslein als eine wolbestelte Wohnung daselbst hat und bedekt ist. Es hat ein schönen weit aussehenden Prospect. Weiters geht man durch die Felsen in ein andere Kruft/ so die weiteste und breiteste ist; ist auch zumhal ganz finster/ wann nicht die Porten gegen dem anderen Ausgang des Berges offen ist. Diese Höle ist in etwas von den herabfallenden Steinen eingeschrankt/ sonst (wie man sagt) hette man durch selbe durch heimliche Gäng in weit entlegenen Bergen gehen können. So thete man öfters verirren/ wenn man nicht gute Führer hette/ und zumal Liechter anzündete/ bevorderst wann die Porten oberthalb des Felsens beschlossen. An diesem Felsen sind auch viele Schwalmennnester/ und wird von selben in grosser Menge bewohnt/ zumahlen befinden sich auch einiche Löcher die unergründtlich/ in welchem sollen die wilden die wilden Männlein gewohnet haben/ wie mir von ehrlichen Leuten erzehlet worden/ das ihre Elteren ihnen verdeutet haben/ dass diese Männlein und Weiblein oft kommen seyen ihnen helffen zuhören/ ehe man die Gäms gejagt/ von welchen sie sich erhalten; durch das gemeldte Loch hinauf geht man durch ein Grasbeth gefährlichen Wegs auf Ebenalp/ ein gemeine Alp für die Landleut also genant/ weil sie wie ein ebenes Tach über ein grosses Gebäu sihet/ von dannen hinüber ziehet sich die Alp Garten ein lustige mit köstlichen Brünnen/ Kräuteren und Wurzeln versehene Alp/ auch mit einem was wenigs erhöchten Berglein gleichsam als mit einem starken Zaun umgeben/ desswegen Garten genant/ und eine gemeine Alp zu Nutzen allerhand Vieh ist. An diese stosst Filtre ein rauher Berg/ von welchem die Bauren meistens das Heu sameln/ und mit nach Haus tragen/ weilen selbige von keinem Vieh als etwan von Geissen kann geetzt werden. An diesem kommt der Berg Oehrli ein grosser Berg strekt ein Felsen hinaus gleich einem Ohr am Kopf. Auf diesem Berg wachsen allerhand Kräuter/ Blumen/ Nägeli/ Wurzen/ das man bezeugt bey Sommerzeit ein solcher Geruch zusein als in einer kostlichen Apothek/ sonderbahr wachst daselbst Allermans-Harnisch/ Süsswurz/ Engelsüss/ und vorderist sehr viel Schnittlauch in grösse und länge einer Ellen/ und in der dike eines Manns Finger/ ja das Vieh und Geissen/ wenn sie darvon esssen/ gibt ihr Milch noch lang darnach ein Geruch; allein wann dieser Schnittlauch transplantiert wird/ so thut er nicht länger als 2. oder 3. Jahr dauern. Auf dieserem Berg steigen auch herum die Gäms in grosser Menge/ zumahlen entspringt nicht weit von dannen aus mitte des Felsen ein Bach/ fallt in das tieffe Thal/ fliesst durch dasselbe in die Sitteren/ wird aber mit seinem Namen Weisswasser genant/ weil er ein Farb als Milch hat; haltet und ernehret gute Groppen und Forellen/ ja so gar auf dem Berg/ wo ein Gumpen bey dem Ursprung ist/ fangt man auch Forellen. Unden an diesem Berg gegen Aufgang ist Fehl-Alp/ allwo ein gewüsses Brünnelein/ von welchem da einige getrunken/ dermassen satt geworden und erquikt/ dass sie/ ohnangesehen sie den ganzen Tag gejagt/ nicht einen brosmen Brot mehr niessen mögen. An dieser under dem Mesmer ist gelegen die Zigeralp/ so genant/ weil alldorten eine gewisse Materi in einer Höle wachse ganz weiss und in Form eines Kardiviols/ das man sie mit Messeren kann abschneiden wie Ziger/ und wird für Crystalblust gehalten. An dem Oehrli stosset an der so genante Alpstein ein Grenz- und Scheidberg gegen dem Thurtal. An dem Fuss dieser Bergen ligt ein feines schönes Thal angefüllt mit schönen Alpen Privat-Persohnen zustendig/ und folglich betitelt/ Hundslenden/ Ober- und Underbernli/ Ober- und Under-Leuwi/ Botersalp/ Geigen/ Schwägalp/ Widereg/ hinder und vorder Düllen/ und viel andere/ Löuerwald genant/ von welchem schier das ganze Land für das verbrennen erhalten wird/ welches Holz von dannen zur Sommerszeit bey auflauffendem Wasser des Weisswassers und der Sitteren bis in den Flecken St.Giren geflötzet wird. In diesem Wald sind auch zun Zeiten Hirschen und Rechli. Bey Aussgang dieses Thals ist noch ein Fruchtbares Thal Wart und Treiberen genant von schönen guten Häusern besezt und viel Volk bewohnt: auf der anderen Seiten dieser Thäleren ist ein ganz furchtar hoher Berg/ dem nächstens gelegen Cronberg/ Sonnen halben ist ein Berg Salzlecki/ oder Gämslecki/ wie andere Cronblatten genant/ weilen sich die Gäms Winterszeit auch zu weilen im Sommer aldort aufhalten/ in dem sie von selben Felsen schlecken/ und sie schon grosse Schrunden mit ihren Zungen gemacht haben/ wegen des Safts/ so an diesen Bergen herab fliesst und ganz salzträchtig ist. Auf der anderen Seiten ist der Cronberg/ allwo ein Capell und ein Wunderbrunn aus dem Felsen herausfliesset einer solchen Kälte/ dass kein Mesnch lang seine Hand in selbigen zu zuhalten erleiden mag/ ist gut und gesund Wasser für Fieber und Krankne/ sein einiger Auslauff sol durch die Felsen geschehen im Schwendinerthal Auwen genant und wie oben verdeutet/ die erfahrung dessen Durchgangs durch ein Hauben geschehen/ welche in den Auslauff gelegt und in Schwendinerthal wieder gefunden worden/ von diesem obgedachten Saft von der Salzblatten werden im hinunterfallen Zapfen wie Eiszapfen gemacht/ allein ganz durchscheinend und in der mitte durch und durch erhölet/ die darunter- und herumliegende Erden sey ganz roth nwie Ziegelmähl/ und zwahr sehr tieff und diese Alpheisst Lökli. Hinder dem Cronberg in dem Thal ziehet sich ein solches in das Urnäscher-Thal oberhalb aber dieses Thals ist noch ein thal/ durch welches man nach St. Johan geht/ fruchtbar/ auf der einten Seiten ist ein Scheidweg gegen Thurthal Beth genant/ weilen es einige Grasbether hat in Form der Gartenbetheren/ in welchen zun Zeiten die Gems weyden.

 

 

zurück | Stadtarchiv Tyngör