Wirklich profunde Urlaubskritik

Von Matthias Kuhn

 

Also gut. Fällt mir jetzt einigermassen schwer, das zu sagen: DER URLAUB IST VORBEI. Obwohl man das eigentlich ganz locker nehmen könnte, denn Urlaub macht ja nur dann einen Sinn, wenn er auch ein Ende hat. Und wenn er sich abhebt: Vom brutal desillusionierenden Alltag. Ansonsten ist der Urlaub als solcher gar nicht erkennbar. Und das dementsprechend gelebte Leben nichts als Müssiggang.

Ich hatte mir den ganzen Sommer überlegt was das nun soll: Urlaub als Erlösung vom Alltag. Kennt man ja: Den zähen Countdown während der letzten Arbeitswochen vor dem ersehnten Urlaub. Dann schlägt endlich die letzte Stunde und schon sitzt man in aller Herrgottsfrühe im Zug, oder in überladenen Auto und rast jener Erholung entgegen, auf die man schon so lange gewartet hatte. Aber dieses Thema hatten wir schon, anfangs Sommer. Jetzt läuft der Countdown umgekehrt. Und dann - zack - sitzt man wieder am Arbeitsplatz. Und der Nebel drückt. Und es wird früher dunkel. Und überhaupt. Alles ganz schlimm plötzlich. So ohne jede Perspektive. Vor dem langen Winter.

Ich habe mir also vorgenommen - als ich das alles so richtig deutlich vor Augen hatte - mal richtig Kritik zu üben am Urlaub. Vielleicht zur Aufwertung des Alltags. Vielleicht irgendwie therapeutisch. Und sicher nicht im Sinne von: Der Urlaub ist strenger als der Arbeitsalltag, weil: das hatten wir ebenfalls schon.
Nein, im Sinne von richtig profunder und grundsätzlicher Kritik an der strikten Trennung von Arbeitsalltag und Urlaubszeit, von den Tagen, an denen wir selbstlos und hart arbeiten und jenen goldenen Tagen, an denen wir uns genau davon erholen. Ich habe also recherchiert, um alle Standpunkte zu kennen, bevor ich loslege. Und dann dieses Desaster.

Also. Hab im Internet - mein Dank geht an den Herrn Google - unter URLAUBSKRITIK gesucht. Fünf Matches. Sollte das etwa kein Thema sein? Zuoberst urlaubskritik.de, immerhin: Die Seite bleibt erst einmal weiss. Und wenn sie dann automatisch weitergeleitet wird, wird der ganze Umfang der Krise sichtbar: Urlaubsreisende können hier ihre Kritik an Hotelzimmern und Ferienhäusern, an Reisen und überhaupt an allem, was mit dem verunglückten Urlaub zusammenhängt abladen. Schön nach Ländern sortiert.
Immerhin gut, dass in der Länderliste Deutschland und die Schweiz fehlen: Muss also alles bestens sein hier bei uns. Und ist vielleicht auch ein Grund, im nächsten Sommer wieder zu Hause zu bleiben. Vielleicht ist das ganze aber auch nur ein Zeichen dafür, dass die Webpage nicht funktioniert?
Und dann noch der Verweis auf eine Shareware-Site: Terminplanersoftware. Bisschen mager um eine profunde Urlaubskritik darauf aufzubauen.

Dann unter ALLTAGSKRITIK gesucht. Zur Vervollständigung meines Wissens. Zwanzig Hits. Best Matches first: Ein ausführlicher Text über die Situationisten. Wieder mal. Immerhin was fundiertes. Dann eine Studentenzeitschrift oder so ähnlich. Unlesbar eigentlich und überparteilich - studentisch - kostenlos. Aber alltagskritisch? Und dann nur noch Quatsch. Rezensionen von Platten quasi kritischer Hip Hop-Bands. So im Sinne von: Schwere Beats und überlegte Reime ... hintergründige Alltagskritik inklusive.

Ich habe also aus meiner Recherche strenge Schlüsse gezogen: Urlaubskritik ist eine praktische Sache und niemanden interessieren irgendwelche Theorien. Vielleicht hat das damit zu tun, dass Theorie und Strandleben oder Wissenschaft und Alpenidylle - allgemein: Geistesanstrengung und Erholung - nicht zusammenpassen. Wenn einem die Sonne das Hirn austrocknet, kann man Theoretiker einfach sehr schlecht vertragen. Das ist schon richtig. Obwohl diese Folgerung natürlich nur dann eine Bedeutung hat, wenn man davon ausgeht, dass URLAUBSKRITIK und -THEORIE im Urlaub gelesen werden müssen. Obwohl: Würde man sie im harten ARBEITSALLTAG lesen, würden sie einem den Urlaub mit Garantie ebenfalls verderben, nach- oder vorwirkend sozusagen.
Worauf könnte man sich dann noch freuen? Also lassen wir's doch bleiben.

Wünsche einen schönen Herbst.

 

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